Skip to content

Start des Zurich Film Festival - und drei aktuelle Filmkritiken

Neben zahlreichen Weltpremieren und einer Kooperation mit dem San Sebastián Film Festival, ist Tunesien als Gastland ein Schwerpunkt beim diesjährigen Zurich Film Festival.



Seit 2007 widmet sich die Sektion »Neue Welt Sicht« des Zurich Film Festival einem Land, in dem ein cineastischer Aufbruch im Gang ist. Bei der diesjährigen Ausgabe des ZFF, das vom 23. September bis 3. Oktober 2021 stattfindet, wird dies als erstes arabisches und afrikanisches Land Tunesien sein.

2011 begann in Tunesien die als "tunesischer Frühling" bekannte Revolution. Deren zehnten Jahrestag nimmt das Zurich Film Festival zum Anlass, Tunesien ins Zentrum seiner Sektion »Neue Welt Sicht« zu stellen, die sich seit 2007 einem Land widmet, in dem ein cineastischer Aufbruch im Gang ist.

"1950 war die Bevölkerung von Afrika halb so groß wie jene Europas, im Jahr 2100 wird sie zehnmal so gross sein. Und das Kino ist ein gesellschaftlicher Spiegel. Zehn Jahre nach Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien zeigen uns die tunesischen Filme ein Land im Umbruch", erklärt der Künstlerische Leiter des Festivals, Christian Jungen.


Einer der Filme, die im Rahmen der Sektion »Neue Welt Sicht« in Zürich zu sehen sein wird, ist Kaouther Ben Hanias "Der Mann, der seine Haut verkaufte", der in diesem Jahr als erster tunesischer Film für einen Oscar nominiert war. Insgesamt umfasst die Reihe elf Spiel- und zwei Dokumentarfilme sowie einen Kurzfilmblock, den die Kurzfilmtage Winterthur beisteuern.

Auf das komplette Programm des Zurich Film Festival (ZFF) können wir an dieser Stelle heute leider genauso wenig eingehen, wie auf das ISFFF, dem Internationalen A-Festival in San Sebastián, das bereits vom 17. - 25. September 2021 stattfindet. Spätestens zur Preisverleihung werden wir aber diesbezüglich unsere Berichterstattungen fortsetzen.

Links: www.sansebastianfestival.com | zff.com

+++++++++++++



Bei uns in Deutschland sind in letzter Woche drei weitere erwähnenswerte Filme gestartet. Darunter die mehr als dreistündige, aber keineswegs langweilige Doku "Herr Bachmann und seine Klasse", die ihre Premiere auf der 71. Berlinale in diesem Jahr feierte und sogleich etliche Preise einheimste. Auch wir waren begeistert.

Kritischer sehen wir dagegen den Start des deutschen Kinothrillers "Je suis Karl", der rechte Kräfte wie die Identitäre Bewegung entlarven will und deshalb als relevanter Film für die Verleihung der »LOLA« des Deutschen Filmpreises am 1. Oktober 2021 nominiert wurde. Sowohl die Wochenzeitschriften "DIE ZEIT" als auch "DER SPIEGEL", sind da ganz anderer Meinung und sehen in dessen Plattheit eher eine Verdummung des Publikums, statt einer Aufklärung, sodass man den Film eigentlich gar nicht zu Ende schauen will. Unsere Kollegin Ulrike hat dennoch eine Rezension versucht.

Ganz einer Meinung waren wir dagegen wieder beim dritten Film, einer Dokumentation über den anfänglich schweren Start der norwegische Popgruppe »a-ha«, die letztendlich aber seit ihrer Gründung im Jahr 1982 mit der Veröffentlichung von zehn Studioalben und dem Verkauf von mehr als 100 Millionen Tonträgern, im Gegensatz zu manch anderen Bands, bis heute sehr erfolgreich blieb. Der Film ist ein Musterbeispiel für Individualität von Künstlern und der Schwierigkeit dabei Rücksicht auf die eigenen Bandmitglieder nehmen zu müssen, ohne das es zu Zerwürfnissen kommt.

"HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE", faszinierende Langzeitdokumentation von Maria Speth (Deutschland) über einen außergewöhnlichen Lehrer und seine Schüler. Seit 16. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die wenigsten von uns würden nochmal freiwillig die Schulbank drücken. Die wenigsten von uns gehen ins Kino, um sich einen dreieinhalb Stundenfilm über einen Lehrer und seine Multikulti-Schüler der Georg-Büchner-Gesamtschule in in Stadtallendorf, Hessen, anzuschauen. Für „Herr Bachmann und seine Klasse“ sollte man es aber unbedingt tun. Herr Bachmann ist ein Lehrer, den wir alle zu gern gehabt hätten und den wir fast alle nie gehabt haben.

Die Schüler „seiner“ 6b sind zu beneiden. Dieter Bachmann trägt trägt Strickmützen und AC/DC – Shirts, probt mit seiner Klasse Bob Dylan Songs und Dolly Parton's „Jolene“. Im Klassenzimmer steht ein Sofa, es gibt Musikinstrumente und geschnitzte Holzfiguren. Seine Schülertruppe besteht aus zwölf Nationen, von Brasilien bis Kasachstan. Sie reden in allen Sprachen, Türkisch, Bulgarisch, Russisch. Einige können Deutsch, andere weniger. Ihr Eltern kamen nach Deutschland, weil sie in ihrer Heimat keine Arbeit gefunden haben. Die meisten von ihnen arbeiten nun bei einer Eisengießerei oder bei Ferrero, der dort seine größte Produktionsstätte hat. Einen Lehrplan durchzuackern, wäre hier sinnlos. Bachmanns Ziel ist es, dass seine Schüler sich verständigen und untereinander Rücksicht nehmen und sich gegenseitig helfen.

Für jedes Kind hat er ein offenes Ohr, hört sich ihre Sorgen und Nöte an, isst in der Pause mit ihnen, albert und scherzt. „Wenn alle durcheinander quatschen, dann klatschte ich, dann klatschen alle und es ist Ruhe. Ich nenne es das Echo-Klatschen“. Auch das Jonglieren hat er ihnen beigebracht. Aber seine Leidenschaft ist das gemeinsame Musik machen. Als es um Homophobie ging, griff er zu seiner Gitarre und und spielte und sang ein Lied über zwei Jungen im Mittelalter, die sich mögen. Immer wieder schafft er Raum für Kommunikation. „Die Schulnoten, das seit nicht ihr, das ist nur eine Momentaufnahme“, tröstet er. Wenn die Schüler Hunger haben, dürfen sie essen, wenn sie Durst haben, dürfen sie trinken. Bachmann setzt sein Augenmerk nicht auf Defizite, sondern auf die einzelnen Fähigkeiten und persönlichen Eigenarten der Kinder und lässt sie Dinge tun, durch die sie erfahren und spüren können, dass sie wertvoll sind und Potential haben.

Ein ganz großes Lob gebührt auch der Filmemacherin Maria Speth und ihrem Team, die es verstanden haben, nicht nur das Vertrauen des Lehrers, sondern auch das der Schüler zu gewinnen. Schon nach kurzer Zeit ist die Scheu vor der Kamera vergessen. Ein ganzes Schuljahr verbringt der Zuschauer mit Maria Speths preisgekrönten Dokumentarfilm in Bachmanns 6b. Und das beste daran, man hat mit der Zeit , nicht nur den Lehrer lieb gewonnen, sondern auch seine Schüler. Drei Jahre hat sie mit dem Schnitt zugebracht. Bachmann ist längst in Rente und seine Schüler fast erwachsen. Die Freude war groß, als alle erfuhren, dass der Film im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale lief und den Silbernen Bären gewonnen hat.

Dieter Bachmann: „Wir brauchen eine Schule, die ein buntes Abbild unserer Gesellschaft ist. Und Lehrer, die Kinder liebhaben“. Dem ist nicht zu widersprechen.

Ulrike Schirm


+++++++++++++

"JE SUIS KARL", ein provokativer Spielfilm-Thriller von Christian Schwochow (Deutschland / Tschechien), der vor den Neuen Rechten warnen will, aber bei einigen das Gegenteil bewirkt. Mit Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel u. a. seit 16. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ein Mietshaus in Berlin-Friedrichshain. Hier wohnt eine glückliche Familie mit zwei kleinen Kindern. Die große Tochter Maxi (Luna Wedler) ist schon aus dem Haus. Alex Baier (Milan Peschel) und seine Frau Ines freuen sich. Sie haben den geflüchteten Yusuf über die Grenze nach Deutschland geholt. Gerade noch hat Alex ein Paket für die Nachbarin angenommen. Alex muss nochmal kurz weg. Es gibt einen Riesenknall, als das von einem unbekannten Boten ins Haus gebrachte Paket explodiert. Bei dem Bombenanschlag sterben Ines und die beiden kleinen Kinder. Zeugenaussagen verweisen auf einen islamistischen Täter. Alex vergräbt sich in seinem Schmerz, während Maxi wie paralysiert und voller Trauer durch die Straßen läuft, gejagt von sensationslüsternen Reportern, die sie mit Fragen belästigen. Maxi versucht ihnen auszuweichen.

Ein junger, attraktiver Mann bietet ihr verständnisvoll seine Hilfe an. Karl (Jannis Niewöhner) lädt sie bei sich zu einem Kaffee ein und schlägt ihr vor, ihn zu einem Treffen der Jugendorganisation „Re/Generation Europe“, deren Kopf er ist, nach Prag zu begleiten. Maxi überlegt nicht lange und willigt ein, in der Hoffnung, dass sie ein Ortswechsel von ihrer Trauer ablenkt.

Seine freundliche und zurückhaltende Art gefällt ihr. Zu diesem Zeitpunkt weiß sie noch nicht, dass Karl für das Bombenattentat verantwortlich ist. Karl, der Anführer der europaweit operierenden Neonazi- Bewegung hat ihr nicht zufällig geholfen , sondern verfolgt mit ihr einen perfiden Plan. Maxi ist fasziniert von den hippen jungen Leuten, die der älteren Generation den Kampf ansagen, gerät dabei aber immer tiefer in die Fänge rechter Ideologen. Man hat es hier nicht wie gewohnt mit dumpfbackigen „Glatzen“ in Bomberjacken Springerstiefeln zu tun, sondern mit schönen jungen Menschen, die aus einem Hochglanzmagazin entsprungen sein können. Ihr wahres Gedankengut wird in Hinterzimmern entwickelt, draußen geben sie sich modern und zeitgemäß, reden von einer besseren Zukunft, reden von Gemeinschaft und Stärke und inszenieren sich als die einzigen glaubwürdigen Verteidiger der Freiheit.

Sie täuschen, in dem sie Slogans von den Linken übernehmen und damit ihre eigenen Anliegen verschleiern und für den Mainstream attraktiver werden. Maxi zieht mit Karl weiter nach Brüssel. Dort tritt in einer ihrer Shows eine französische Politikerin auf, die fatal an Marie Le Pen erinnert. Sogenannte „Opfer“ erzählen erfundene Geschichten, Futter für die Neuen Rechten, die nun auf subtile Weise ihren Feindbildern Ausdruck verleihen können. Da Maxi ein wirkliches Opfer ist, fühlt sie sich noch stärker zu der Gruppe hingezogen. Sie trösten und versprechen Lösungen. Die heuchlerische Inszenierung ist schwer zu durchschauen.

Regisseur Christian Schwochow, der sich schon in seiner NSU-Triologie „Mitten in Deutschland“ mit der rechten Szene beschäftigt hat, geht mit „Je suis Karl“ nun einen Schritt weiter. Er deckt auf, dass diese Neuen Rechten, noch viel schwieriger zu fassen sind. Sie lassen sich nicht mehr genau identifizieren. Sie sind klüger und gebildeter als das braune Volk auf den Neonazi-Aufmärschen.

Das Drehbuch zu seinem Film schrieb Thomas Wendrich, der auch schon das Drehbuch zu „Mitten in Deutschland: NSU“ geschrieben hat.

Schwochow benutzt den modernen hippen Look der Neuen Rechten und zeigt uns damit, dass eine schöne Verpackung, einen rassistischen Inhalt haben kann. Sein Film ist ein provokanter Warnschuss.

Ulrike Schirm


+++++++++++++

"a-ha – THE MOVIE" Dokumentation von Thomas Robsahm & Aslaug Holm (Norwegen / Deutschland). Bereits seit 14. September 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

In Norwegen der 1970er-Jahre eine Rock-Band zu gründen galt als Ding der Unmöglichkeit. Noch nie hatte das Land eine Band hervorgebracht, die über die Grenzen hinaus internationale Erfolge feierte. Morten Harker, Magne Furuholmen und Pal Waaktaar-Savoy der Band a-ha haben es geschafft. Es gibt kaum einen Song aus den 1980er-Jahren der zu einem solchen Ohrwurm wird wie „Take on Me“, mit dem dem sie 1985 ihren internationalen Durchbruch schafften und der zum Nummer-eins-Hit in den USA wird.

Das der Weg bis dahin steinig war, erfährt man in diesem außergewöhnlich ehrlichen Dokumentarfilm „a-ha The Movie“. Magne und Pal gründeten im Alter von 12 Jahren ihr erste gemeinsame Band. Sie träumten von einem internationalen Erfolg. Als Depeche Mode und andere Bands wie Soft Cell in den frühen 80ern berühmt wurden, fuhren die beiden Freunde ohne Rückfahrkarte nach London. Ihr großes Idol war Jimi Hendrix, der aus den USA nach London gereist war, um den Durchbruch zu schaffen. Naiv und beseelt von dem Gedanken, es genauso zu machen, erweckte ihren Ehrgeiz und sie gaben nicht auf. Als sie nach vielen Monaten immer noch nichts erreicht hatten und auch kein Geld mehr hatten, trampten sie nach Hause.

Dort fanden sie, was ihnen noch gefehlt hatte: Den Sänger Morten Harket mit der außergewöhnlichen Drei-Oktaven-Stimme. So hat alles angefangen. Mit dem Ruhm, der dann folgte, hatten sie nicht gerechnet. Kreischende Mädchen und Frauen lagen ihnen zu Füssen, ihre Hingabe galt besonders dem schönen Morten mit seiner hinreißenden Stimme. Damit hatten Pal und Magne so nicht gerechnet. Seine Stimme war das Sahnehäubchen ihrer selbstgeschriebenen Songs und er stand fast immer im Mittelpunkt.

Mit entwaffnender Ehrlichkeit sprechen die drei Musiker über die Schattenseiten des Ruhms. Der unerwartete Erfolge und musikalische Differenzen, Vermarktung, Kompromisse, der Streit über Rechte und Geld und die Schwierigkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen belasten ihre Freundschaft bis heute.

Fünf Jahre lang begleiteten Thomas Robsahm & Aslaug Holm die norwegische Band. Sie sammelten Archivmaterial, führten Interviews und begleiteten sie auf ihren Touren und machen die Eigenheiten jedes einzelnen Bandmitglieds sichtbar. So offen und ehrlich hat man das noch nie gesehen. Freundschaft war nie die Grundlage von a-ha. Ihre Grundlage ist die Musik.

(Der Video-Clip zu „Take on Me“ gilt als eines der originellsten Musikvideos aller Zeiten. 1986 wurde es bei den MTV Video Awards für acht Preise nominiert, von denen es sechs gewann, einschließlich des Preises für das Beste Video des Jahres). Das muss ich mir sofort ansehen!




Ulrike Schirm


Anzeige