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Gewinner der DOC ALLIANCE Awards in Cannes und zwei aktuelle Filmkritiken

"The Blunder of Love" und "Bless You!" gewinnen die Doc Alliance Awards 2021 auf dem Festival de Cannes.



Vorgestern, den 13. Juli 2021, wurden die Gewinner des 14. Doc Alliance Awards, dem Netzwerk der sieben wichtigsten europäischen Dokumentarfilmfestivals beim Doc Day-Lunch auf dem Marché du Film - Festival de Cannes bekannt gegeben.

Der Doc Day ist Teil der Cannes Docs, einem Programm des Marché du Film mit Fokus auf Dokumentarfilm.

Zum Netzwerk von Doc Alliance gehören die sieben führenden europäischen Dokumentarfilmfestivals:
CPH:DOX (Dänemark),
Doclisboa (Portugal),
DOK Leipzig (Deutschland),
FIDMarseille (Frankreich),
Ji.hlava IDFF (Tschechische Repubik),
Millennium Docs Against Gravity (Polen) und
Visions du Réel (Schweiz).

Der Doc Alliance Award - Best Feature Film ging an "The Blunder of Love" von Rocco Di Mento, nominiert von DOK Leipzig und produziert an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf von Valeria Venturelli. Der Gewinnerfilm erhält 5.000 Euro für das nächste Projekt.

Hier der Trailer:



Synopsis:
Mithilfe von 8mm-Heimvideos, einem unveröffentlichten Roman, mehreren Liebesbriefen und einem Berg an lang unterdrückten Gefühlen erforscht Di Mento den Mythos um die Liebesbeziehung seines Großvaters und versucht diesen posthum zu ehren, mit Unterstützung der überlebenden Verwandten. Kein einfaches Unterfangen, wenn die Dinge anders gelaufen sind, als es die Familientradition erzählt...

Die Jury kommentierte ihre Entscheidung damit, dass obwohl "The Blunder of Love" nicht der erste Film ist, in dem ein Regisseur die Kamera auf seine eigene Familie richtet, „er mit einer charmanten Neugier gemacht wurde, die zu einer echten Dekonstruktion eines Mythos’ und sich zu einer diskreten Offenbarung von Familiengeheimnissen und Traumata entwickelt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde.“


Der erstmals vergebene Doc Alliance Award - Best Short Film ging an "Bless You!" (Zdrastvuyte!) von Tatiana Chistova, (Russland, nominiert vom polnischen Doc Festival).

Synopsis:
Der Kurzfilm „Bless You“ gibt einen Tag während des Ausbruchs der Corona-Pandemie und des ersten COVID-19-Lockdowns in Russland wieder. Vor dem Hintergrund Sankt Petersburger Hinterhöfe verwebt der Film Aufnahmen aus der fast menschenleeren Stadt mit Anrufen bei einer städtischen Telefon-Hotline für ältere Menschen, die eingerichtet wurde, nachdem die Regierung eine strenge 24-Stunden-Ausgangssperre verhängt hatte.

Die Jury kommentiert ihre Entscheidung wie folgt: "Bless You!" „fängt das Gefühl aus Angst, Isolation, Langeweile und Verwirrtheit während der Pandemie auf einfache, aber sehr starke und ehrliche Weise ein.“


Links: www.docalliance.org | dafilms.com
Quelle: NOISE Film PR

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"NEBENAN" Dramödie von Regisseur und Schauspieler Daniel Brühl (Deutschland, 71. Berlinale 2021 - Wettbewerb). Mit Daniel Brühl, Peter Kurth, Rike Eckermann u.a. ab 15. Juli 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Eine Tragikomödie über Ossis und Wessis und bitteren Lebenslügen)

Mit diesem Film gelingt mir der große Durchbruch, hofft Daniel (Daniel Brühl). Der Schauspieler soll in London für einen amerikanischen Superheldenfilm vorsprechen. Auf dem Weg zum Flughafen, macht er in einer Berliner Eckkneipe „Zur Brust“ halt. Vormittags ist seine Stammkneipe noch leer und er hat die nötige Ruhe, seinen Text noch zu verfestigen und und zu telefonieren, denn er will unbedingt herausfinden, wer seine Partner sind. So vermeidet er es, in der Flughafenlounge angestarrt zu werden. Doch mit der Ruhe haut es nicht hin. An der Theke sitzt Bruno (Peter Kurth) und verwickelt ihn in ein Gespräch. Daniel wohnt in einer luxuriösen Maisonettewohnung mit eigenem Außenaufzug, mitten in Prenzlauer Berg. Da seine beiden Söhne schon wach sind, hätte er zuhause nicht die nötige Ruhe gehabt.

Im Gespräch mit Bruno stellt sich heraus, dass er im selben Haus, mit dem Schnösel Daniel wohnt. Leider nur im Hinterhaus, ohne Fahrstuhl. In der luxussanierten Dachwohnung die Daniel nun bewohnt, hat früher Brunos Vater gewohnt. Er wurde von Spekulanten rausgekauft. „Jetzt ist mein Vater tot“, erzählt er.

Bruno kennt alle Filme von Daniel. Es bereitet ihm offensichtlich ein hämisches Vergnügen, sich über Daniels nicht vorhandene Schauspielkunst lustig zu machen. Auch wenn die Filmtitel verändert sind, weiß man, über welche Filme er abfällig spricht.

Kurth verkörpert den frustrierten Wendeverlierer, der den verhassten Gentrifizier-Wessi mit ausgetüftelten Rachegelüsten regelrecht bombardiert. Er fängt klein an. Er starrt den Schauspieler eine ganze Weile an, dann bittet er um ein Autogramm, dann wischt er sich mit der Serviette, auf der das Autogramm steht, genüsslich den Bierschaum vom Mund. Dann nimmt er sich Daniels Filme vor, die er alle haargenau kennt und spöttelt, was das Zeug hält. Dann zückt Bruno sein letztes Ass. Er beginnt Daniel über sein eigenes Privatleben minutiös aufzuklären.

Es ist nicht nur die Einsicht, die er wegen der bodentiefen Fenster in Daniels Wohnung hat, sondern weil er nachts dort sitzt, wo Daniel anruft, wenn seine Kreditkarte verloren geht. „Ich sehe alles, was auf deinem Konto passiert. Tschuldigung, dass ich du sage aber ich weiß so viel von ihnen. Ihr habt ja ständig das Fenster auf, ich höre alles.“ Bruno hört gar nicht auf, Details aus Daniels Leben runterzurattern.

„Denk mal darüber nach, ob das, was ich dir erzähle eine Lüge ist.“ die ausgedruckten Wahrheiten nimmt er mit. „Ach übrigens, über Denise, das Callgirl müssen wir auch noch reden“. Unterbrochen wird das abgründige Kammerspiel, wenn Daniel mit seinem Rollkoffer von dannen zieht, um wichtigtuerisch zu telefonieren und dann doch wieder erscheint.

Den beiden unterschiedlichen Männern in der kleinen Kneipe zuzusehen und zuzuhören ist ein köstliches Vergnügen, auch wenn es zwischendurch bitterböse wird. Bruno, der mit großer Gelassenheit seinen Hass gegen alles West-Deutsche an Daniel rauslässt und Daniel der durch und durch arrogant ist aber alles tut um nicht arrogant zu wirken, verkörpert den typischen Klischee-Wessie mit einer köstlichen Selbstironie. Oder ist es ein genialer Schachzug des Freundes und Drehbuchautors Daniel Kehlmann, denen, die Daniel Brühl nicht mögen, „den Wind aus den Segeln“ zu nehmen und ihre Häme zu schwächen. (Einige Beleidigungen in Kehlmanns Drehbuch basieren auf wahren Sprüchen, die Brühl sich anhören musste.)

Brühls Regiedebüt ist nicht nur ein perfides Psychoduell sondern auch eine Tragikomödie über Ossis und Wessis mit köstlichem Humor.

Ulrike Schirm


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"IM FEUER – ZWEI SCHWESTERN" Migrations-Drama, Kriegsfilm von Daphne Charizani (Deutschland, Griechenland, 70. Berlinale 2020 - Perspektive Deutsches Kino). Mit Almila Bagriacik, Zübeyde Bulut, Maryam Boubani u.a. ab 15. Juli 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Rojda Xanin (Almila Bagriacik) ist Bundeswehrsoldatin und in Deutschland aufgewachsen. In einem griechischen Flüchtlingslager sucht sie ihre Mutter (Maryam Boubani), die sie mit nach Deutschland nehmen will. Nur ihr deutscher Pass ermöglicht eine Weiterreise. Was sie noch nicht weiß, ihre Mutter ist ohne ihre Schwester Dilan (Gonca de Haas) gekommen. Dilan ist im Irak geblieben.

Als Rojda die nötigen Formalitäten erledigen will und die Papiere für ihre Mutter verlangt, sitzt sie einem höchst arroganten Typ gegenüber. Er will ihr nicht glauben, dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Er macht sich erst einmal lustig, indem er ihren Pass für gefälscht hält und lässt sie absichtlich zwei Stunden warten, bis er das Problem geklärt hat.

Die beiden Frauen sind in Rojdas Wohnung in Köln angekommen. Ihre Mutter macht sich große Sorgen um Dilan. Während sie mit ihr telefonieren, ist das Gespräch plötzlich abgebrochen. Am liebsten wäre auch ihre Mutter, die ihr altes Leben verloren hat, bei Dilan im Irak geblieben. Doch im Irak ist Krieg. Der IS wütet in kurdischen Regionen. Die Menschen flüchten. Wer nicht flieht, der kämpft, gegen die Islamisten, sowie Dilan, die in einer kurdischen Miliz, für ihre Heimat und das Überleben kämpft.

Mit eiserner Hartnäckigkeit setzt Rojda es durch, in den Irak versetzt zu werden, um ihre Schwester zu suchen. Als Kurdin kann sie als Sprachvermittlerin gute Dienste leisten. In Erbil angekommen, eine kurdische Region, wo der IS vor kurzem verdrängt wurde, ist der deutsche Oberfeldwebel Alex Breitmeier (Christoph Letkowski) ihr Vorgesetzter. Die Bundeswehr bildet dort Peschmerga-Kämpferinnen aus, unter denen Rojda ihre Schwester vermutet. Stabsunteroffizier Rojda Xani kann ihm mit ihren Sprachkenntnissen nun gut dabei helfen, die Frauen zu verstehen, damit er sie nach seinen Vorstellungen ausbilden kann. Doch die Kämpferinnen haben ihre eigenen Vorstellungen. Rojda kann gut mit den Frauen kommunizieren und übersetzen.

Bei ihrem ersten Einsatz bot sich der Truppe ein trauriges Bild. Rojda hat ein Tuch gefunden, von dem sie glaubt, dass es ihrer Schwester gehört. In dieser Nacht bleibt sie im Camp der Frauen, obwohl es verboten ist. Breitmeier gibt nach und ordnet an, dass seine Kompanie draußen, in der Nähe der Frauen, schläft.

Es sind traurige Geschichten, die Rojda von den Frauen erfährt. Berivan, eine von ihnen, fasst sich ein Herz und sie bringen Rojda im Dunkeln zu ihrer Schwester. Sie geraten in einen Hinterhalt und es kommt zu einer Schießerei.

Regisseurin Daphne Charizani konzentriert sich auf die komplexen Aktivitäten der Figuren untereinander. Was bedeutet es als Soldatin in der männlich dominierten Bundeswehr zurechtzukommen.? Glücklicherweise hat Rojda in Breitmeier einen sympathischen Vorgesetzten gefunden. Wie gelingt es noch professionell zu bleiben, wenn sie, Rojda, die auf der Suche nach ihrer Schwester ist und als Einzige wirklich mit den überzeugten Kämpferinnen kommunizieren kann?

Charizani verzichtet bewusst auf dramatische Spannungsmomente und zeigt eine starke Heldin zwischen dem Hin-und Hergerissen-Sein zweier unterschiedlicher Kulturen.

Schon in „Nur eine Frau“ brillierte Almila Bagriacik und das tut sie hier wieder.

Ulrike Schirm


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