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»Woche der Kritik« digital im Stream parallel zur 71. Berlinale

Filmfans und nicht akkreditierte Cineasten, die bis zum Juni auf Vorführungen der 71. Berlinale warten müssen, können am Stream der »Woche der Kritik« teilnehmen.



Alljährlich findet im Berliner Kino der Hackeschen Höfe parallel zu Berlinale die "Woche der Kritik" statt. So auch diesmal, nur dass die Teilnahme online über einen digitalen Stream erfolgt, denn die Kinos haben immer noch geschlossen. Ein Öffnungsszenario wird wohl erst bei der Ministerkonferenz am 3. März 2021 bekanntgegeben.

Wie von uns am 17. Februar 2021 berichtet, gibt es einige Kinos, die sich zu einem Verbund zusammengeschlossen haben, um zusätzlich zum normalen Kinoprogramm, ausgesuchte Werke auch online zugänglich zu machen. Die Höfe Kinos gehen während der "Woche der Kritik" ebenfalls diesen Weg, allerdings über ein anderes Portal. Man kooperiert mit Eventim.

Die Festivalpässe, die allerdings nur begrenzt zur Verfügung stehen, kosten 35,- € und können über PayPal oder per Kreditkarte erworben werden.

Das Einzelticket kostet 7,50 € und ist nur mit Kreditkarte zahlbar.


Natürlich ist ein kollektives Filme Schauen im Kino ein anderes Erlebnis. Wir vermissen deshalb die Berlinale sehr. Aber mit ein paar Freunden oder in der Familie lassen sich auch die Streams zu Hause im Anschluss ausdiskutieren.

Während bei uns die Übertragung von Streams mit dem Laptop per Funkverbindung zum Großbildfernseher immer wieder scheiterte, haben wir inzwischen mit einem HDMI-Adapterkabel am Displayport bessere Erfahrungen gesammelt. Direkt am kleinen Laptop-Screen die Filme zu sehen, ist auf Dauer ermüdend und ergibt kein Kinofeeling.

Vier Wochen lang konnten wir auf diesem Weg ein MUBI-Abo kostenlos ausprobieren. Nach den 30 Tagen wollten wir eigentlich kündigen, denn es gibt nur wenige, aktuelle Werke des Arthouse Kinos zu sehen. Ältere Werke überwiegen. Prompt wurde uns eine kostenlose Verlängerung für einen weiteren Monat zum Ausprobieren angeboten. Auch so kann Marketing funktionieren.

Bei der Woche der Kritik sind die Filme aktueller. Allerdings nicht einfach zu konsumieren. "Statt Netflix gibt es Brecht" schrieb der Tagesspiegel am Samstag.

"FREIZEIT" von Caroline Pitzen

Formal fühlt man sich teilweise ins Forum der Berlinale versetzt. Caroline Pitzen filmt z.B. Jugendliche, die auf dem Weg ins Abitur sich Gedanken über ihre Zukunft machen. Wie schon bei der 68er-Bewegung mit linken Studentenprotesten sind politische Themen und Alternativen zum Kapitalismus angesagt. Zwar landet man nicht bei Marx und Engels, denn das Scheitern der DDR hat Spuren hinterlassen, aber die Sorgen vor Gentrifizierung, Mietsteigerungen und die Position der Frau in der Gesellschaft sind Themen, die ausgiebig in der "FREIZEIT", so auch der Titel des Films, diskutiert werden.


Das im Rahmen des Meisterschüler*innen-Studiums bei Prof. Thomas Arslan an der UDK Berlin entstandene 71 Minuten lange Werk mit dem vollständigen Titel: "FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun", hat Weltpremiere bei der "Woche der Kritik", die vom 27.2. - 7.3.2021 digital stattfindet. Es ist der einzige deutsche Film.

"A MUSEUM SLEEPS" von Camille de Chenay

Als Vorfilm, der im Preis eines Tickets im Double Feature enthalten ist, wird der im letzten Jahr entstandene ebenfalls 71 Minuten lange französische Film "A MUSEUM SLEEPS" (UN MUSÉE DORT) von Camille de Chenay mit englischen Untertiteln geboten.

Die Regisseurin montiert in ihrem ersten Spielfilm unwahrscheinliche Räume und Situationen, als hätte sie beim Inszenieren die Bodenhaftung verloren. Die Kameraeinstellungen sind jedenfalls außergewöhnlich. Die Story ist dagegen eher simpel. Von magischem Realismus und Klischees des französischen Kinos schrieb die Presse im Nachgang der Premiere des Films beim FIDMarseille.


Zwei weitere Kurzbesprechungen hat uns Elisabeth Nagy nachgeliefert.

"Letter From Your Far-off Country"

Experimentalfilm
USA / Indien 2020
Regie Suneil Sanzgiri
Drehbuch Suneil Sanzgiri
Bildgestaltung Suneil Sanzgiri
Montage Suneil Sanzgiri
Musik Lea Bertucci, Amirtha Kidambi, Booker Stardrum, Tyler Tadlock
Ton Suneil Sanzgiri

Elisabeth' Filmkritik:

In seinen Filmen und Arbeiten beschäftigt sich der indischen Regisseurs Suneil Sanzgiri mit Fragen wie Unterdrückungssysteme durch Trauma, Erzählungen und Erinnerungen genährt und am Laufen gehalten werden. "Letter from Your Far-Off Country" folgt dabei dem Film "At Home But Not At Home". Sanzgiri tritt in einen mehrschichten Austausch mit seinem Vater, der die Erzählerrolle einnimmt und aus dem Werk des Schriftstellers Agha Shahid Ali rezitiert. Aus dessen Werk entleiht Sanzgiri auch den Titel seines Kurz-Experimentalfilmes.

Der Austausch zwischen Vater und Sohn ist dabei nur die Brücke zu der Erinnerung an die Zeit der Unruhen im Kashmir. Sanzgiri erinnert an Safdar Hashmi, ein Schauspieler, Regisseur und Dramatiker, der Kunst und Politik verband und ich für das freie Straßentheater einsetzte. Kurz vor Suneil Sanzgiris Geburt starb Hashmi einen gewaltsamen Tod.

Ohne irgendwelche Vorkenntnisse kann man in dem straff inszenierten Filmessay, das an die Unruhen mehrerer Epochen erinnert, kaum folgen, und ich kann kaum behaupten, alles verstanden zu haben. Vater und Sohn Sanzgiri zitieren aus den Arbeiten von Aha Shahid Ali oder verweisen auf den Aktivismus der indischen Schauspielerin Shabana Azmi, die sich bereits für die Erinnerung an Hashmi eingesetzt hatte, bei einem Filmfestival. Das alles in knapp 18 Minuten. Dabei filmte Sanzgiri teile mit längst abgelaufenen 16mm-Film. Farbeffekte legen sich zwischen und auf die Bilder und verstärken deren Wirkung.

Elisabeth Nagy


"Fauna"

Drama.
Mexiko / Kanada 2020
Regie Nicolás Pereda
Drehbuch Nicolás Pereda
Bildgestaltung Mariel Baqueiro, Ilana Coleman
Montage Nicolás Pereda
Musik Teresita Sánchez
Kostüm Rossana Rodrí­guez
Ton Pablo Cervera

Elisabeth' Filmkritik:

Normalerweise erzählt man eine Geschichte von A über B nach C. Man kann natürlich bei C ansetzen und dann noch ein paar Schlenker einbauen. All das macht der mexikanisch-kanadische Regisseur Nicolás Pereda ("Minotaur", "Tales Of Two Who Dreamt") nicht. Er führt "Fauna" mit einer langen, monotonen Autofahrt ein. Jetzt bloß nicht ungeduldig werden. Pereda stellt uns Luisa (Luisa Pardo) vor, die mit ihrem Freund Paco (Francisco Barreiro) zu ihren Eltern fährt, wo sie auch auf ihren Bruder Gabino (Lázaro Gabino Rodrí­guez) trifft. Luisa und Paco sind Schauspieler, wenn auch nicht erfolgreich. Obwohl, Paco hat es schon zu einer Rolle in der Fernsehserie "Narcos: Mexiko" geschafft. Die Serie kennt scheinbar jeder vor Ort. Auch wenn der Vater partout nicht mehr weiß, wer da die Hauptrolle spielt. Paco ist Trivialdarsteller, er hat noch nicht einmal Text. Aber seine Beteiligung ist für das gegenseitige Interesse die einzige Gemeinsamkeit. Jetzt soll er mal was vorspielen, meint der Vater in der Kneipe. Pereda hat einen sehr feinen Sinn für Humor und absurde Begebenheiten.

Toronto hat den mexikanisch-kanadischen Film im letztjährigen Programm gehabt, San Sebastián ebenso und auch die Viennale hat den Film ins Programm genommen. In Deutschland hat das Festival in Mannheim-Heidelberg mitgezogen. Jetzt also die Woche der Kritik. "Fauna" läuft hier er im Programm "Der große Bluff - Playact". Der Fokus liegt hier, und ich zitiere mal, auf "Figuren, die realistische Prämissen sabotieren, und Schauspieler*innen, die sich nicht auf eine Verwandlung festlegen lassen.". Besser kann ich das auch kaum umschreiben. Pereda zeigt uns eine Familie und den Umkreis, die teilweise Schauspieler und Schauspielerin sind, aber jede Figur verkörpert mehrere Rollen. Das hört sich kompliziert an, aber es ist ein Spiel und durchaus ansprechend. Paco soll, da sitzen er, der Bruder und der Vater in der Kneipe, eine Szene aus der Fernsehserie vorspielen. Paco tut das zwar, aber besonders der Vater findet das unbefriedigend. Also noch mal. Paco baut die Rolle aus, vom dezenten Spiel wechselt er in ein Gehabe und wird so zum Klischee. So, wie sein gegenwärtiges Publikum sich das wohl wünscht.

Paco arbeitet auch das männliche Gehabe deutlicher aus. Das wollen die anderen sehen. Was wollen wir eigentlich sehen, fragt sich Pereda sicherlich. Welche Eigenschaften und welche Motivation hat eine Figur und welche davon spricht das Publikum an und welche Vorstellungen werden bei dem Publikum bedient? Und wie beinflußen sie sich gegenseitig? Pereda erzählt das noch mit einer weiteren Geschichte. Gabino erzählt einer Freundin von dem Roman, den er gerade ließt. In dem ein Mann einen anderen sucht, der aber nicht gefunden werden will. Dafür schlüpfen nun alle Akteure in eine weitere Rolle. Zwar trägt man das Haar anders, aber man erkennt, dass hier die Rolle ausgetauscht wurden. Bis man vergißt, dass es eine weitere Rolle ist. Und damit sind wir, das Publikum außerhalb des Bildes nicht anders, als das Publikum innerhalb des Filmes.

Elisabeth Nagy




Während des Industry Events (1. - 5. März 2021) der 71. Berlinale werden die Jurys des Wettbewerbs und der Sektionen Berlinale Shorts, Encounters und Generation ihre Preisentscheidungen bekanntgeben. Die Jurys sind in Berlin und sehen die Filme im Kino, denn Privatveranstaltungen mit unter 20 Personen sind auch in Zeiten der Pandemie möglich. Die Jury besteht aus sechs Regisseurinnen und Regisseuren, die bis Freitag entscheidet, welcher Film den Goldenen Bären gewinnt.

Weil der iranische Regisseur Mohammed Rassulof sein Land nicht verlassen darf, wird er die Filme dort anschauen. Auch der israelische Filmemacher Nadav Lapid fehlt in Berlin und schaut die Filme in Tel Aviv.

Die Preisentscheidungen werden mit einer Videopräsentation der Jurys und anschließender Pressemitteilung veröffentlicht. Die feierliche Preisverleihung wird dann beim Summer Special (9. - 20. Juni 2021) stattfinden.

Bekanntgabe der Juryentscheidungen:

Donnerstag, 4. März 2021, 12:00 Uhr: Berlinale Shorts + Generation
Freitag, 5. März 2021, 12:00 Uhr: Encounters + Wettbewerb.

Link: www.berlinale.de/...live-streaming
Quellen: Berlinale | ARD Text | Verband der deutschen Filmkritik

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