Skip to content

Unsere wöchentliche Filmkritik - diesmal von der digitalen Queerfilmnacht

Die Befürchtung, dass die Kinos vorerst weiterhin geschlossen bleiben, hat sich nach dem gestrigen Impfgipfel bestätigt.



Direkt aus einem Kinosaal können wir leider auch weiterhin nicht berichten. Die Filmtheater bleiben wohl noch länger geschlossen. Dieser Eindruck wurde durch den gestrigen Impfgipfel bestärkt und wird voraussichtlich auch beim nächsten Corona-Gipfel der Ministerpräsidenten in der kommenden Woche nicht durch neue Beschlüsse ersetzt.

Die Pharmaindustrie verkündete, derzeit an der Kapazitätsgrenze bei der Produktion von Impfstoffen angelangt zu sein. Darüber hinaus tauchen immer neue Mutationen von Sars-CoV-2 auf, gegen die nicht alle Impfstoffe gleichermaßen gut wirken.

Zudem benötigen Impfstoffanpassungen mit veränderter Zusammensetzung neue Testreihen und mehr Zeit, denn auch die mutierte Form des Coronavirus wird in Deutschland die Oberhand gewinnen, so die abschließende Meinung aus dem Kanzleramt. Öffnungen werde es erst geben, so Söder, „wenn die Zeit reif ist und die Inzidenz-Werte niedrig“ seien.

Für Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin Filmförderung Medienboard Berlin-Brandenburg, sind die Kinoschließung zwar ein herber Dämpfer, dennoch bleiben Kinos und Kinofilme auf Dauer unverzichtbar.

"Berlin-Brandenburgs Kiezkinos haben zwar bisher großes Durchhaltevermögen und Kreativität bewiesen und mit erfolgreichen Kampagnen, Gutscheinaktionen, Corona-Testzentren und Crowdfunding Kontakt mit ihrem Publikum gehalten. Dafür ein großes Dankeschön."

"Dennoch ist die gesamte Kinobranche, Arthouse wie Multiplexe, durch die Pandemie-bedingten Schließungen in ihrer Existenz bedroht. Die Hilfsprogramme sind gut gemeint, werden aber teilweise zu schleppend ausgezahlt und erschweren den Kinos das wirtschaftliche Überleben."

"Darüber hinaus wurden im Kinofilmbereich sehr viele Produktionen auf 2021 verschoben, nur Serien und TV-Filme wurden bereits in der 2. Jahreshälfte 2020 wieder gedreht"
, so Niehuus weiter.




Auch unsere Kollegin konnte sich einen Film, bei der derzeit nur digital im Internet stattfindenden Queerfilmnacht, erneut nur als VoD ansehen, um ihn zu besprechen.

"EINE TOTAL NORMALE FAMILIE" Tragikomödie von Malou Reyman über einen Vater, der eine Geschlechtsumwandlung beschließt. (Dänemark, 2020, 93 Min.)

Hier der Trailer des Films, der im offiziellen Wettbewerb beim International Film Festival Rotterdam lief.



Ulrikes VoD-Kritik:

Die 11-jährige Emma (Kaya Toft Loholt) führt ein unbeschwertes Leben. In ihrer Freizeit spielt sie am liebsten Fußball. Sie freut sich, von ihrem Vater Thomas (Mikkel Boe Folsgaard) angefeuert zu werden. Bei einem Ausflug zu einem Bauernhof, wo man Hundewelpen streicheln darf und sich ein Tier aussuchen kann, bricht ihr Vater auf dem Parkplatz plötzlich in Tränen aus. Auf der Rückfahrt herrscht eisiges Schweigen. Beim Mittagessen erfahren Emma und Caroline, ihre ältere Schwester, dass ihre Eltern sich scheiden lassen. Mutter Helle verrät auch den Grund: „Euer Vater plant eine Geschlechtsumwandlung. Er wird eine Frau“. Thomas schweigt betreten. Emma ist total verwirrt.

„Aber das kann man sich doch nicht aussuchen“? „Doch, das kann man schon“, antwortet die Mutter.

Die Familie holt sich psychotherapeutische Hilfe. Thomas, der sich jetzt Agnete nennt, zur Erinnerung an seine Großmutter, ist nun äußerlich zur Frau geworden. Emma hat während der Sitzungen einen Schal um ihren Kopf geschlungen. Noch kann sie es nicht ertragen, ihren Vater in Frauenkleidern zu sehen. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Caroline, die mit der neuen Situation schon locker umgeht. Emma hört nur zu. Noch kann sie nicht begreifen, dass ihr Vater, so wie sie ihn äußerlich kannte, auf einmal weg ist, verwandelt in ein fremdartiges Erscheinungsbild. Die Person, die ihr Vater ist, verabschiedet sich für einige Zeit. Er fliegt nach Thailand, um sich der Geschlechtsumwandlung zu unterziehen und kommt mit dem angepassten Geschlecht einer Frau zurück. Seine Töchter können ihn so oft sie wollen besuchen. Für jede von ihnen hat er liebevoll ein Zimmer eingerichtet. Für Caroline ist die Veränderung schon zur „Normalität“ geworden, während Emma noch von Irritationen geplagt ist und Agnete nicht als vertrauensvolle Bezugsperson annehmen kann. Agnete verbringt viel Zeit mit ihren Töchtern.

Harmlose Alltagssituationen sorgen bei Emma für Gefühlsaufwallungen. Als Agnete sie zum Fußballtraining fährt und Emma die im Auto vergessenen Schuhe hinterherträgt, wäre Emma fast vor Scham in den Boden versunken. Als Agnete dann auch noch, wie gewohnt, beim Training zuschaut, will Emma nur noch nach hause zu ihrer Mutter. Emma ist in einem Alter, wo alles, was nicht der Norm entspricht, unendlich peinlich ist und Unsicherheit mit sich bringt. Sie muss nicht nur die Scheidung verkraften sondern auch die Verwandlung des Vaters. „Was macht er da?“ fragt sie ihre Schwester als sie Agnete von hinten, mit gespreizten Beinen, im Wohnzimmersessel sitzen sieht. Ganz unbefangen erklärt Caroline ihr, was Dilatation bedeutet. „Agnete muss noch eine Weile mit einem Gerät ihre Scheide dehnen“. Wieder so eine Information, die Emma erst einmal verkraften muss.

Agnete, Caroline und Emma verbringen einen gemeinsamen Strandurlaub. Die Zeiträume, bei denen man das Gefühl hat, Emma freundet sich mit der Situation an, werden länger. Fröhlich feiern sie Agnetes Geburtstag. Doch dann rastet Emma aus. Sie fordert Agnete auf, fremden Leuten, die Agnete für ihre Mutter halten, die Wahrheit zu sagen. Als sie Schuhe zusammen kaufen und die Verkäuferin Angnete fragt, welche Schuhgröße sie hat, erstarrt Emma. Gott sei Dank entwickelt sich kein Gespräch zwischen Agnete und Verkäuferin, über die für Frauen ungewöhnliche Größe 44. Emmas Anspannung lässt nach.

In dem Regiedebüt „Eine total normale Familie“ spiegeln sich, aus der Perspektive der 11-jährigen Emma, eigene Erfahrungen der dänischen Regisseurin Malou Reymann, die selbst mit einem Trans-Vater aufgewachsen ist.

Nach und nach erschließt sie die ambivalenten Gefühle, die Emma durchlebt, ohne das sensible Thema unnötig zu problematisieren. Der Spagat zwischen Tragik und subtiler Komik ist ihr ganz wunderbar gelungen. Ein Film voller Hoffnung und Optimismus.

Die junge Kaya Toft Loholt verschmilzt mit der Rolle der Emma dermaßen präsent, dass man vergisst, einer Schauspielerin zuzusehen und zuzuhören.

Ulrike Schirm


Anzeige