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Filmkritiken zur Berlinale, Teil 4

Weitere Filmkritiken von den 69. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2019 - diesmal aus den Sektionen »Generation 14plus«, »Panorama Dokumente« und »Perspektive Deutsches Kino«.



Nach unserer ersten Berichten von der 69. Berlinale in den letzten Tagen folgen heute nochmals drei Filmkritiken von unserer Kollegin Elisabeth Nagy aus den Sektionen »Generation 14plus«, »Panorama Dokumente« und »Perspektive Deutsches Kino«.

Zudem wurde vorgestern bekannt, dass die nächste 70. Berlinale unter der neuen Leitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek erstmals erst nach der Oscar-Verleihung 2020 am 20. Februar beginnen wird und wegen des Schaltjahres nach 10 Tagen am 1. März 2020 enden wird.

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"Les petites vagues" (Little Waves)
Regiedebüt von Ariane Louis-Seize
Generation 14plus, Kurzfilm
Internationale Premiere am 9. Februar 2019
Wiederholungen am 14., 15., 16. und 17.02.2019

Hier der Trailer:



Der Film wurde weltweit auf über 50 Festivals gezeigt.

Elisabeths Filmkritik:

So weit sind Phantasie und Wirklichkeit nicht auseinander. Es raschelt angenehm harmonisch. Wie Wellen, die an den Strand rollen, klingt es aus dem Off, während das Bild in türkisem Blau eintaucht. Amélie (Alexandra Sicard) und ein kaum älterer Junge halten ein Laken über sich, tollen herum und es klingt ganz ähnlich.

Wie weit doch Begehren und Erreichbarkeit auseinander liegen. Amélie stößt zur Familie, deren Geschnatter aus dem Hintergrund an unsere Ohren dringt. Gerade mal ein "Bist du groß geworden" erreicht den Vordergrund und Amélie lässt das an sich abprallen. Die Familie hat sich für einen Grillabend zusammengefunden. Amélia fixiert ihren Cousin missmutig mit einem Hauch vorgetäuschtem Desinteresse. Mit ihren Augen betrachten wir die Andere, die nichts Kindliches mehr an sich hat, deren Haar und Makeup eindeutig schon von Verführung sprechen.

Ariane Louis-Seize taucht die Phantasie, das Begehren, die sexuellen Träume in das Farbenspiel zwischen Blau und Pink. Amélie erkennt in diesem Spiel ihre eigenen Wünsche. Die Québecerin weiß die Kraft der sexuellen Phantasie positiv und verstärkend zu vermitteln. Der Humor kommt auch nicht zu kurz.

Elisabeth Nagy


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Hinweis:
Für unsere nachfolgenden zwei Filmkritiken müssen wir leider noch ohne Trailer auskommen, denn Kinotrailer dürfen meist erst nach ihrer Uraufführung auf YouTube gehostet werden. Bei Weltpremieren begnügen wir uns deshalb mit Filmstills, soweit sie uns zur Verfügung stehen.

"Schönheit & Vergänglichkeit" (Beauty & Decay)
von Annekatrin Hendel | mit Sven Marquardt, Dominique (Dome) Hollenstein, Robert Paris
Panorama Dokumente, Deutschland 2019
Weltpremiere am 13. Februar 2019
UPDATE: Gewinner des Heiner-Carow-Preises der Berlinale

Filmstill: "Beauty and Decay" © Annekatrin Hendel, Quelle: 69 Berlinale 2019


Synopsis:
Was ist aus den jungen Punks geworden, die der Ostberliner Modefotograf Sven Marquardt vor über 30 Jahren in seinen Schwarz-Weiß-Fotos porträtierte? Eine Tour durch Vergangenheit und Gegenwart mit seinen Modellen Dominique Dome Hollenstein und Robert Paris.

Elisabeths Filmkritik:

Ein Wunschprojekt war es für Annekatrin Hendel. Sie möchte "die Helden ihrer Jugend" porträtieren, diejenigen, die außerhalb der mit Werten zugezurrten Gesellschaft sich in der Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Außen zu definieren suchen.

Annekatrin Hendels Dokumentationen scheinen einem roten Faden zu folgen. Ein Film über Paul Gratzik in "Vaterlandsverräter" (2011), über Sascha Anderson in "Anderson" (2014), es folgte eine filmische Aufarbeitung über Rainer Maria Fassinder in "Fassbinder" (2015) und zuletzt widmete sie ihre Arbeit einem Porträt der "Familie Brasch". Biographien mit Ecken und Kanten. Über Menschen mit Namen, die vielen ein Begriff und anderen gar kein Begriff sind.

So auch Sven Marquardt, für die einen "der berühmteste Türsteher" Berlins, für andere vielleicht gar kein Begriff. Vielleicht macht es, wenn man seine Porträtbilder sieht, und Annekatrin Hendel streift sie bedächtig, einzeln, im Ausschnitt und in dem ihnen gegebenem Raum. Die aktuelle Ausstellung in der Galerie Deschler in Berlin Mitte wurde jetzt eigens bis zum 2. März 2019 verlängert. Das nebenbei.

Hendel geht erst einmal zurück in der Zeit, in die 80er Jahre der DDR. Hier beginnt ihr Porträt über den Fotografen, mit dem Foto eines Punks. Heute, oder besser gesagt zur Zeit der Produktion des Films, leitete ebendieser Fotograf, also Sven Marquardt, an der Ostkreuzschule für Fotografie ein Seminar zu dem Thema "Schönheit & Vergänglichkeit". So nun auch der Filmtitel.

Dabei geht es nun nicht um die Frage, ob jemand, der mit seiner Kamera einen Menschen so zu erfassen weiß, dass er das Wesen des/diejenigen in ein ästhetisches Schwarzweiß umsetzen kann, beim "Türstehen" die Menschen besser zu lesen weiß. Hendel darf mit in das Berghain, wo Marquardt ein Shooting mit Dome (kurz für Dominique Hollenstein) angesetzt hat. 1983 hat er sie das erste Mal fotografiert. Jetzt möchte er, nach 35 Jahren sie mit einer nicht nur ähnlichen, sondern gleichwertiger Intensität strahlen lassen. Selbst wenn sich Zwei gut kennen, ist das eine Herausforderung.

Mitte der 80er Jahre, Hendel ist kaum ein paar Jahre jünger als Marquardt, sie zeigt uns nicht das Berlin, wie man es aus zahlreichen Dokumentationen der Zeit kennt, sondern konzentriert sich auf das Berlin von Marquardt und seinen Freunden. Hier kommt auch Robert Paris hinzu, der nach dem Mauerfall einfach mal nach Indien gezogen war. Nun ist er in Berlin zu Besuch und kann Hendel die Bilder zeigen, die Marquardt damals von ihm gemacht hat, aber auch eigene von seinem Berlin damals. Seine Stadtansichten wären einen eigenen Film wert. Es sind zum Beispiel Alltagsbilder von Bahnhöfen, die es heute schon lange nicht mehr gibt. Das heutige Berlin ist für ihn nur eine Stadt unter vielen.

Zwischengeschnitten hat Hendel Filmaufnahmen der damaligen Szene, im Presseheft heißt es die "Ost-Berliner-Bohí¨me", bei einer Performance im Stadtbad Prenzlauer Berg. Der Blick bleibt spezifisch, auch wenn Hendel den Fokus von einem Künstler auf die Freundschaft zwischen den dreien verschiebt. So sind es nun die Biographien von einem, der sich in Berlin bekannt gemacht hat und einem, der weggegangen ist und einer, die zwar in Berlin verankert ist, aber einen ganz anderen Weg ging.

Elisabeth Nagy


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"Off Season"
von Henning Beckhoff
mit Franziska Petri, Godehard Giese, Patrizia D’Antona, Isabella Torre, Peter Lohmeyer
Perspektive Deutsches Kino, (Deutsch, Englisch, Italienisch)
Weltpremiere am 14. Februar 2019

Filmstill: "Off Season" © Sabine Panossian, Quelle: 69 Berlinale 2019


Elisabeths Filmkritik:

Ein Paar befindet sich im Urlaub. Er (Godehard Giese) hat Sie (Franziska Petri) damit überrascht. Plötzlich befinden die beiden sich auf Sizilien in einem Wellness-Resort. Es ist Nebensaison, die Anlage ist geradezu ausgestorben. Ablenkung gibt es nicht, der Bruch zwischen den beiden vertieft sich in dieser Leere von Szene zu Szene. Kaum angekommen, ist sie am Handy in einem Arbeitsgespräch. Er verspürt Zurücksetzung und reagiert genervt. Henning Beckhoff erzählt in seinem mittellangen Abschlussfilm an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf von einem Paar unter dem Druck der Veränderungen, der sich mit dem baldigen Familienzuwachs einstellen wird.

Beckhoff, der Spielfilm- und Dokumentarfilmregie studierte, konzentriert sich mehr auf ihr Aufbegehren. Sie driftet durch die Gassen, taucht in das Leben der Bewohner ein. Die Handlung bleibt minimal, vielmehr beobachtet die Kamera von Sabine Panossian nur. Was fehlt, ist eine Dringlichkeit. Die Handlung beginnt mittendrin. Beide sitzen in einem Taxi, das die beiden (wahrscheinlich) vom Flughafen zum Resort fährt. Sie trägt eine Schlafbrille und er erklärt ihr, was sie sehen würde. Man könnte dies als Beweis einer gut funktionierenden Partnerschaft deuten, als Vertrauensbeweis.

Doch die Augenbinde drängt sich als Konstruktion auf, denn sicherlich ist sie nicht blind von Deutschland an den Urlaubsort geflogen. Auch ist nicht ganz klar, warum die Nebensaison, die den Beiden sogar eine Intimität ermöglichen könnte, hier als Umstand der fehlenden Unterhaltung gedeutet wird. Die Szenen in denen Sie in das Leben vor Ort eintaucht, zeigen Land und Leute mit Gespür für Situationen und Atmosphäre. Ihre Geschichte ist somit wesentlich interessanter als die eines Paares, dass zueinander finden muss. Auf das eine kann man sich einlassen, die Rahmenhandlung bleibt dahinter zurück.

Elisabeth Nagy


Link: www.berlinale.de
Quelle: 69. Internationale Filmfestspiele Berlin 2019



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