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Prädikate, Kinocharts und Filmkritiken im November 2018, Teil 3

"PHANTASTISCHE TIERWESEN" mit Eddie Redmayne kehren mit Prädikat ins Kino zurück. FBW-Auszeichnung auch für den Debütfilm "REISE NACH JERUSALEM".



"Grindelwalds Verbrechen", der zweite Teil der Reihe "PHANTASTISCHE TIERWESEN", einem Spinn-off zu Joanne K. Rowlings Romanreihe über den Zauberlehrling "Harry Potter", erzählt als langerwartete Fortsetzung die Geschichte des Magiers Newt Scamander und seiner Jagd nach dem bösen Zauberer Grindelwald als überbordendes Fantasy-Abenteuer weiter.

Die fünfköpfige Expertenrunde der Filmbewertungsstelle (FBW) vergab dem Film das Prädikat "wertvoll", jedoch nicht "besonders wertvoll" und schreibt in ihrer Begründung:

"Im Vergleich mit dem ersten Teil werden wesentlich mehr Details und Figuren eingeführt, die der Fan aus dem Potter-Universum kennt. Und auch den visuellen Vergleich braucht dieser Film nicht zu scheuen. Er hat großen Schauwert und ist gespickt mit einem Feuerwerk an überwältigenden Special-Effects."


"PHANTASTISCHE TIERWESEN: Grindelwalds Verbrechen" Fantasy-Abenteuer von David Yates (Großbritannien, USA). Mit Eddie Redmayne, Katherine Waterston, Dan Fogler u.a. seit 15. November 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Die vielen überbordenden Special-Effects schinden zwar Eindruck, sind aber die größte Schwäche des Films. Auch wenn Joanne K. Rowling wieder am Drehbuch mitgearbeitet haben sollte, so verspürt man kaum noch den behutsamen Zauber, den sie in den ersten Teilen der Harry-Potter-Verfilmungen noch einfließen lassen konnte.

Schnitte und Zeitsprünge erfolgen jetzt Schlag auf Schlag und lassen den Zuschauer nur noch atemlos die Story verfolgen, die unvermutet von einem zum anderen Ort springt.

An den deutschen Kinokassen steuert der Film zwar auf den besten Start des letzten halben Jahres zu und schickt sich gerade an, den bisherigen Bestseller des Jahres "Avengers: Infinity War" zu überholen. Laut Warner Bros. besuchten allein am Starttag 121.500 Zuschauer in 560 Kinos den Film, womit er Platz 1 der deutschen Kinocharts belegte. Hochgerechnet ist an diesem Wochenende mit mehr als einer Million Zuschauer zu rechnen.

Dass das Marvel-Comic "Avengers: Infinity War" mit 3,4 Millionen Besuchern in der Besuchergunst insgesamt immer noch vorn liegt, hat im Vergleich zum letzten Jahr jedoch wenig zu bedeuten. Die heutige Bestmarke hätte nämlich im Vorjahr nur zu Rang 6 in der Jahresgesamtwertung gereicht.

Im Vergleich dazu haben seinerzeit alle Harry-Potter-Verfilmungen deutlich mehr Zuschauer-Zuspruch erreicht. Allein der erste Teil „Harry Potter und der Stein der Weisen“ verzeichnete 12,5 Millionen Besucher.

Unserer Meinung nach hätte man die Geschichte durchaus epischer, vielleicht sogar als noch längeren Mehrteiler anlegen sollen, um auch jene verloren gegangenen Zuschauer zu erreichen, die sich nur noch zu Hause Netflix-Serien reinziehen. Geplant sind zwar weitere drei Teile, doch die Machart der neuen Blockbuster ist nur effekthascherisch und wenig einfühlsam erzählt. Allerdings enthält die Original Buchvorlage auch nur 128 Seiten, woraus insgesamt fünf Teile gestrickt werden sollen. Die einzelnen sieben Harry Potter Bücher haben dagegen jeweils um die 350 Seiten.

Glücklicherweise wird wenigstens zum Anfang des Films das geliebte Hogwarts als Location aufgegriffen, um eine gewisse Erdung zu der nachfolgend, sehr abgehobenen Story über einen machtbesessenen Emperor (Johnny Depp als Gellert Grindelwald) entgegensetzen zu können. Gewisse Anleihen an Adolf Hitler sind übrigens nicht ganz von der Hand zu weisen.

W.F.


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"REISE NACH JERUSALEM" Drama von Lucia Chiarla (Deutschland). Mit Eva Löbau, Beniamino Brogi, Constanze Priester u.a. seit 15. November 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

(Bitterböse, tragisch-komisch)

Die 39-jährige Alice (Eva Löbau) hat die Schnauze voll. Bei ihrer zuständigen Arbeitsagentur erzählt man ihr, dass es in Zukunft nur noch einen sogenannten Roboterjournalismus geben wird und zwingt sie zu einem 12 Wochen dauernden Bewerbungstraining und das ihr, einer ausgebildeten Texterin.

Wenn sie daran nicht teilnimmt, werde man ihr die Bezüge kürzen. Ihre Situation wird immer prekärer. Mit schlecht bezahlten Minijobs versucht sie sich über Wasser zu halten. Bei telefonischen Bewerbungsgesprächen erreicht sie Niemanden, stattdessen hängt sie in der Leitung in einer Endlosschleife: „Bitte warten sie. Bitte warten sie”¦“. Bei Bewerbungen über Skype ist die Übertragung ständig gestört. Wenn man sie fragt, was sie denn so mache, ist ihre stereotype Antwort: “Ich betreue mehrere Kunden“.

Es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sich durch ihren prekären Alltag zu flunkern. Die Benzingutscheine, die sie bei einem Marktforschungsinstitut erhält, versucht sie gegen Bargeld zu tauschen. Auch der Versuch, ihren Typ zu verändern, hilft ihr nicht weiter und wenn sie es dann doch mal schafft, einer Arbeitsgeberin gegenüber zu sitzen, durchschaut diese ihre Flunkerei. Sie hört nichts mehr von ihr. Auch ihre Eltern raten ihr zu einer Umschulung.

„In Berlin hat inzwischen der Kapitalismus gesiegt. Du musst dich endlich daran gewöhnen, die Jobs anzunehmen, die du kriegen kannst“, motzt ihr Vater.

Verzweifelt steht sie vor dem Geldautomaten. Ihre Karte ist gesperrt. Als die Eltern unverhofft an ihrem Geburtstag vorbeischauen, bemerken sie, das es eiskalt in der Wohnung ist, der Fernseher fehlt, und ein Zahn ist ihr abgebrochen. In ihrer Not vermietet sie ihre Wohnung an Touristen. Von dem Geld lässt sie sich den abgebrochenen Zahn reparieren. Es dauert nicht lange und sie ist auch noch wohnungslos.

Im alten Wohnwagen ihrer Eltern fährt sie hinaus in die Nacht”¦ Bei einem Stopp in einer Kneipe sind die Gäste in ausgelassener Stimmung. Sie spielen "DIE REISE NACH JERUSALEM". Alice gewinnt. Mit einem Krönchen im Haar fährt sie lächelnd in eine ungewisse Zukunft...

Die italienische Autorin und Regisseurin Lucia Chiarla, die in Berlin lebt, hat mit Eva Löbau eine hinreißende Darstellerin gefunden. Gekonnt nuancenreich ist ihr tragisch-komisches Spiel vor einem bitterbösen Hintergrund angelegt, besonders dann, wenn sie verzweifelt versucht, den äußeren Schein zu wahren, auch wenn die Situation auch noch so schmerzhaft ist.

Ulrike Schirm


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Die Filmbewertungsstelle (FBW) zeichnet den Debütspielfilm "REISE NACH JERUSALEM" ebenfalls mit dem Prädikat "wertvoll" aus.

Eva Löbau brilliert als Arbeitslose Alice, der die Unterstützung gestrichen wird und die dennoch vor Familie und Freunden ihre Lebenslüge aufrechterhält. Der Spielfilm zeichnet, so die FBW-Jury, "ein authentisches Bild der 'Generation Praktikum' in Berlin". Zugleich sei REISE NACH JERUSALEM "ein mit großer Eindringlichkeit geschildertes Frauenschicksal. Hauptdarstellerin Eva Löbau trägt den Film mit ihrer intensiven Listung, die enorme Einfühlung ermöglicht."

"REISE NACH JERUSALEM ist (...) zweifelsohne ein überzeugendes Zeit- und Gesellschaftsbild der gegenwärtigen urbanen Gesellschaft in Deutschland mit einer eindrucksvollen Hauptdarstellerin. Und grundsätzlich könnte man den Film auch einem neuen deutschen Realismus zurechnen."


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"LORO - Die Verführten" Biopic-Drama von Paolo Sorrentino (Italien, Frankreich). Mit Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio u.a. seit 15. November 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

(Eine bildgewaltige Satire auf Silvio Berlusconi)

Italien im Jahr 2008. In seiner Persiflage über den ehemals mächtigsten Mann Italiens Silvio Berlusconi, wählt Paolo Sorrentino („La Grande Bellezza“) ein Anfangsbild, welches verschiedene Interpretationen zulässt. In der Eingangshalle der Sommerresidenz des berüchtigten italienischen Ministerpräsidenten steht ein Schaf. Es blökt ein paar mal, macht ein tiefes „Bäh“ und klappt zusammen.

Bunga-Bunga Silvio hockt ausgebrannt in seiner Luxusvilla und bekommt zu allem Übel auch noch die Verachtung seiner Ehefrau zu spüren. Während des gesamten Films, fällt nicht einmal sein Name. Wenn von ihm und über ihn gesprochen wird , heißt es nur "Er".

Sergio (Riccardo Scarmarcio) betreibt mit seiner Frau Tamara einen Call-Girl-Ring. Um die Aufmerksamkeit des ehemaligen Staatschef und Medienmoguls zu erringen, mietet er in Sichtweite der Berlusconi-Villa ein Anwesen, in das er eine illustre Schar seiner Edelnutten einlädt und tagelang Party feiert. Drogen, Sex und nackte Haut, egal wo man hinsieht, rücken die Frauen ihre Körper ins rechte Licht. Auf den Ecstasy Pillen erkennt man beim näheren Hinsehen, Berlusconis Konterfei. Eins von den Mädchen stellt auf ihrem Allerwertesten ein grinsendes Tattoo ihres Idols Silvio zur Schau. Je mehr sie mit dem Hintern wackelt, desto schmieriger grinst es. Sergio wird langsam ungeduldig, Wann erscheint Er endlich, Er, von dem er sich einen Karrieresprung erhofft.

Endlich lässt Er sich blicken. Jede von den Nutten versucht, sich bei ihm einzuschmeicheln, um wenigstens eine kurze Nummer mit ihm zu schieben. Zwischen all den koksenden und sich spreizenden Frauen gibt es wenigstens eine, die seinen Avancen trotzt und ihm die Meinung sagt.

Im zweiten Teil liegt der Fokus auf Berlusconi, der mit gerissener Bauernschläue versucht, seine verlorene Macht wiederzuerlangen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht, mag es auch noch so perfide sein.

Sorrentino, der auch das Drehbuch schrieb, portraitiert in seiner Satire Berlusconi als eitlen Selbstdarsteller, der sich geltende Gesetze nach seinem Gusto zurechtrückt und jegliche Kritik an seiner Person in einem fratzenhaften, schmierigen Grinsen erstickt.

Der italienische Schauspielstar Toni Servillo, der schon in „La Grande Bellezza“ und „Il Divo“ glänzte und von Sorrentino abermals besetzt wurde, macht aus seiner Rolle ein brillantes Bravourstück.

Hinter der bildgewaltigen Satire, ist eine erbärmliche Leere der einzelnen Protagonisten nicht zu übersehen.

Ulrike Schirm


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SAUVAGE Drama von Camille Vidal-Naquet (Frankreich). Mit Félix Maritaud, Eric Bernard, Nicolas Dibla u.a. ab 29. November 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

(Ein zutiefst berührendes Stricherportrait)

In seinem bewegenden Debütfilm "SAUVAGE" heftet sich Camille Vidal-Naquet an die Fersen des 22-jährigen Strichers Léo (Félix Muritand), der sich für kleines Geld auf den Strassen von Straßburg prostituiert. Meistens schläft er tagsüber, nachts treibt er sich herum auf der Suche nach Freiern. Gerät er in irgendeinen Schlamassel, ist sein bester Freund Ahd (Eric Bernard) an seiner Seite, um ihm zu helfen.

Sauvage heißt auf deutsch wild, scheu, ungesellig und ungesittet. All diese Eigenschaften treffen auf ihn zu. Es ist ein hartes Leben, was Léo führt. Vidal-Naquet scheut sich nicht davor, die sexuellen Wünsche der verschiedenen Freier konsequent zu zeigen. Ebenso wenig scheut er sich davor, Léos Drang nach Zärtlichkeit und Wärme außen vor zu lassen, Momente, die zutiefst berühren. Auch zeigt er die Konkurrenz zwischen den Strichern untereinander, die dann, wenn es drauf ankommt, sich gegenseitig beistehen.

Léo, dessen Körper durch Crack, Crystal und Kokain geschwächt ist, spuckt, während er mit einem Freier zusammen ist, Blut. Seine Hilfe lehnt er ab. Völlig unerwartet nimmt er die Ärztin, die ihn untersucht, in den Arm. Die Diagnose: Asthma und Tuberkulose. Für einen „Wilden“, der in den Strassen campiert, ein Schlag ins Gesicht. Besonders ergreifend auch der Moment, als ein Freier ihn fragt, wie er heißt, antwortet er: „Egal, such dir was aus“.

Sein Freund Ahd zieht mit einem Freier nach Spanien. Bevor er geht, rät er ihm „Léo, du hast es verdient, geliebt zu werden. Geh, such dir einen Alten. Es ist das Beste für uns“.

SAUVAGE ist ein berührendes Portrait über einen Menschen in seiner Verlorenheit, seiner körperlichen Selbstausbeutung und seiner rastlosen Suche nach Zärtlichkeit und Hoffnung auf eine Zukunft.

Muritand ist Léo. Er spielt seine Rolle dermaßen authentisch, dass man glaubt, einen Dokumentarfilm zu sehen.

Ulrike Schirm



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