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7. Kurdisches Filmfestival im Kino Babylon Berlin

Berlin wird zur Begegnungsstätte für kurdische Filmschaffende und dem kosmopolitischen Publikum.



Die 7. Ausgabe des KURDISCHEN FILMFESTIVALS in Berlin, das im letzten Jahr kurzfristig abgesagt werden musste, findet von 15. bis 21. Juni 2017 im Kino Babylon:Mitte am Rosa-Luxemburg-Platz statt. 28 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen sowie mehrere Podiumsdiskussionen sind Teil des Festivalprogramm. Filmemacher*innen aus allen vier kurdisch besiedelten Regionen- Irak, Iran, Syrien und Türkei- sowie kurdische Filmemacher*innen, die in der europäischen Diaspora leben, werden zu Gast sein.

Das KURDISCHE FILMFESTIVAL IN BERLIN gilt seit 2002 als wichtigster Treffpunkt für kurdische Filmemacher*innen und ist bislang das erste und größte Festival seiner Art in der deutschen Hauptstadt. Die sechste Ausgabe hatte im November 2011 noch im alten Eiszeitkino in Berlin-Kreuzberg stattgefunden. In seiner Einzigartigkeit zieht es dennoch von Mal zu Mal mehr Besucherinnen und Besucher an und ist inzwischen nicht nur für kurdische Zuschauerinnen und Zuschauer, sondern auch für das Berliner Arthouse-Publikum zu einem kulturellen Höhepunkt geworden. Durch den Krieg in Syrien, Irak und dem Ausnahmezustand in den kurdischen Gebieten der Türkei wächst die Zahl kurdischer Schutzsuchender in Berlin.

Dieser Umstand macht die siebte Edition des Festivals besonders wichtig, denn rund 53 Millionen Kurden, die keinen eigenen Staat haben, leben auf unserer Welt. Allein in Berlin sind von der in Deutschland lebenden einen Million Kurdinnen und Kurden ca. 300.000 Kurden zu Hause, darunter auch etliche Filmemacher, wie wir zum 6. Kurdischen Filmfestival am 13. November 2011 schrieben. Hier der diesjährige Festival-Trailer:



Weitere Informationen sowie Szenenbilder und Trailer zu allen Filmen im Programm finden Sie auf der Webseite des KURDISCHEN FILMFESTIVALS.

Zu beachten gilt, dass einige Filme zu unserem Erstaunen kriegerische Auseinandersetzungen ziemlich oft beschönigen, was vielleicht ein wenig mit Traditionsverpflichtungen und einem Befreiungskampf der Kurden vor türkischer Unterdrückung zu begründen ist. Zahlreiche legal gewählte kurdische Volksvertreter können mittlerweile ihre Ämtern nicht mehr ausüben, weil sie Präsident Recep Tayyip ErdoÄŸan in der Türkei verhaften lies.

Andererseits kommt aber auch das ehemalige Feindbild der islamisch geprägten Kurden gegenüber den vertriebenen und zum Großteil durch Genozid ausgerotteten christlichen Armeniern in dem Dokumentarfilm "Die Anderen" zum Ausdruck.

Die Glaubensverschiedenheiten sowie eine andere Mentalität der Altvorderen und der ewige Streit zwischen Türken, Kurden und Armeniern mögen u.a. ein Grund dafür sein. In dem nachfolgend beschriebenen Eröffnungsfilm "HAUS OHNE DACH" werden diese Ansichten von der jüngeren Generation bereits relativiert.
Ein anderes Verhältnis zur Geschichte und mehr Demokratieverständnis verändern hoffentlich langsam die Lage.

Schlimm ist dagegen seit 2014 die Lage für die an der irakischen Grenze lebenden jesidischen Kurden geworden. Die vom sogenannten "IS" als „Ungläubige“ Araber bezeichnete religiöse Minderheit wird immer noch verfolgt, versklavt und ermordet wie der Film "RESEBA - THE DARK WIND" von Hussein Hassan beschreibt.

Darüber hinaus bietet das Kurdische Filmfestival Berlin nicht nur hochwertige kurdische Filme, sondern ist auch Begegnungsstätte für das kosmopolitische Berliner Publikum und kurdische Filmschaffende. Durch die kriegsbedingt wachsende Anzahl kurdischer Geflüchteter aus Syrien, dem Irak sowie aus den kurdischen Gebieten der Türkei erhält das Kurdische Filmfestival Berlin in seiner siebten Edition einen noch wichtigeren Stellenwert für die Hauptstadt. Ziel der Begleitveranstaltungen ist es, die Missstände, welche die Filmemacher*innen in ihren Filmen zeigen, intensiv zu diskutieren und nachvollziehbar zu machen. Gemeinsam soll über Lösungsansätze, Perspektiven und die kurdische Zukunft gesprochen werden.

Zur Eröffnung wird "Haus ohne Dach" (Deutschland / Irak [KRG] / Katar 2016, 119 Minuten) von der jungen kurdischen Filmemacherin Soleen Yusef gezeigt, der beim 8. arabischen ALFILM Festival am 7.4.2017 in Berlin den zweiten Platz belegte. Hier nochmals der Trailer sowie unsere Filmkritik:



"Haus ohne Dach" (Deutschland / Irak [KRG] / Katar 2016, 119 Min.

"Haus ohne Dach" von Soleen Yusef erzählt die Reise der drei Geschwister ALAN, JAN und LIYA, die in der kurdischen Region des Iraks geboren und in Deutschland aufgewachsen sind. Die Drei wollen den letzten Wunsch ihrer Mutter erfüllen und sie neben dem im Krieg verstorbenen Vater in ihrem Heimatdorf beerdigen. Auf der nervenaufreibenden Kurdistan-Odyssee werden sie aber nicht nur mit ihrer kurdischen Großfamilie konfrontiert, die den letzten Wunsch der Mutter nicht akzeptiert, sondern vor allem mit sich selbst. Sie haben sich in den letzten Jahren sehr voneinander distanziert, jeder lebt sein eigenes Leben, und wenn dann mal Gespräche stattfinden, bestehen diese meist nur aus gegenseitigen Vorwürfen. Parallel wird im Verlauf ihrer Reise spürbar, dass sich in ihrem Heimatland ein fürchterlicher Konflikt anbahnt, dessen Ausmaß zunächst niemand erahnen kann.

Elisabeths Filmkritik:

Am Anfang steht ein im Chaos arrangiertes Familienfoto. Vater, Mutter und die Kinder und da alles schief geht, schneiden die Kinder ausgelassen Grimassen. Die Handlung von “Haus ohne Dach” setzt Jahre später ein, als die Geschwister Jan (Sasun Sayan), Alan (Murat Seven) und Liya (Mina Sadic) bereits erwachsen sind. Sie sind nach der Flucht vor dem Regim Saddam Husseins aus dem kurdischen Teil des Irak in Deutschland heimisch geworden und zwischen zwei Kulturen aufgewachsen. Umso härter trifft es sie, als ihre Mutter, Gule (Wedad Sabri), zurück in die Heimat ziehen möchte. Nur eines ihrer drei Kinder begleitet sie, während die anderen zwei ihre wacklige Existenz in Deutschland nicht aufgeben wollen. Erst als die Mutter stirbt, kommen sie wieder zusammen, wenn auch nicht aus freien Stücken. Die Mutter verfügte, dass die untereinander entfremdeten Geschwister sie nach ihrem Tod gemeinsam neben ihrem Vater, der im Krieg starb, beerdigen mögen.

“Haus ohne Dach” ist ein Roadmovie. Nicht nur das Grab des Vaters muss gefunden werden, die drei Kinder der Nachfolgegeneration müssen ein Miteinander finden und eine Haltung gegenüber dem Heimatland, der Familie und ihrer Identität. Dabei ist bereits der Anfang schwer, denn die Familie der Mutter lehnt den verstorbenen Vater grundsätzlich ab, aus Gründen, die sich nicht allen drei erschließen und auch den Zuschauern erst spät enthüllt wird. Eine Beerdigung neben dem Vater ist aus Sicht des Familienclans ausgeschlossen. Kurzerhand entführen die Geschwister den Sarg und fahren los. Eine ganze Kette an Ereignissen setzt sich in Gang. Die Familie folgt den Ausreißern, Grenzen müssen überwunden werden und mit jedem Checkpoint wird die Mission undurchführbarer. Ein Roadmovie also, ein Abenteuerfilm, durchaus mit Anlangen zu komischen Situationen. Die Regisseurin Soleen Yusef vermittelt die Handlung auf eine geradlinige Weise, gibt den Figuren, also auch den Nebenfiguren, allerlei Sympathien mit, wüsste man nicht um die reale Ebene, könnte es eine Komödie sein.

Soleen Yusef wollte “Haus ohne Dach” in ihrer Heimat drehen. Auch sie, Jahrgang 1987, musste als Kind flüchten und wuchs in Deutschland auf.

Nach einer Gesangs- und Schauspielausbildung fing sie 2008 ein Regie-Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg an. “Haus ohne Dach” ist ihr Abschlussfilm und gewann letztes Jahr unter anderem den First Step Award und den Friedenfilmpreis des unabhängigen Filmfests Osnabrück. Dabei ist die Entstehen des Dramas sicherlich auch eine Geschichte wert.

Nach ihrem Kurzfilm “Trattoria” (2012, Perspektive Deutscher Film) wollte Soleen Yusef nicht nur einen - wie sie es nennt - “kurdischen Heimatfilm” drehen, sie wollte mit ihren eigenen Erfahrungen dem Publikum einen persönlichen Einblick in die Psyche der Flüchtlinge geben. Doch während sie die Dreharbeiten in der kurdischen Region im Nordirak vorbereitete, überfiel der Islamische Staat die Stadt Mossul, die nur 60 Kilometer von Dohuk, ihrer Heimatstadt, entfernt liegt. Ein Drehen war unmöglich geworden, neue Flüchtlingsströme setzten sich in Gang. Soleen Yusef schrieb das Drehbuch um, bettete die ursprüngliche Handlung in diese neue Realität ein, gab ihr eine weitere Ebene, eine Dringlichkeit, ohne die eigentliche Aussage aus dem Fokus zu rücken. Die Geschwister erleben während ihrer Odyssee diesen Stimmungswechsel in der Region, deren Entladung sie mittelbar miterleben. Die Geschwister, die so mühselig ihre Wurzeln und ihre Geschichte suchten, die neue Freunde und Bekanntschaften machten, müssen aus der Ferne mit ansehen, wie ihre Heimat auseinander fällt. Der Gefühle von Trauer und Bedauern mit einer Region, von deren Schönheit und von deren Bewohnern man sich gerade ein Bild machen konnte, kann man sich gar nicht verschließen.

Elisabeth Nagy


Link: kurdischesfilmfestival.de
Quelle: Zoom Medienfabrik


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