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Sonderveranstaltung zu »I Am Not Your Negro« (OmU)

Diskussionsveranstaltung im Lichtblick-Kino, präsentiert von American Voices Abroad Berlin - Außerdem zwei weitere Filmbesprechungen.



Bei unseren Filmbesprechungen vom 31. März 2017, zu ausgewählten und von uns empfohlenen Werken, die am 30. März 2017 bundesweit in den Kinos gestartet waren, fehlte einer der bedeutendsten und mitreißendsten Dokumentarfilme aus Amerika, die wir je zu Gesicht bekommen haben. Die europäische Premiere von "I Am Not Your Negro" fand schon im Februar auf der Berlinale in der Panorama Sektion statt. Paul Beck portraitiert darin den Schriftsteller James Baldwin und beschreibt das schlechte Gewissen Amerikas.

Ganz übergehen wollen wir den Film nicht, der immerhin auf der Berlinale mit dem Publikumspreis des Panoramas ausgezeichnet wurde. Das Lichtblick-Kino in der Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg veranstaltet zudem am 15.4.2017 um 19:30”‰Uhr im Anschluss an seine Vorführung eine Diskussion, die von der amerikanischen Künstlerin und Schriftstellerin Isaiah Lopez moderiert wird. Die Tickets kosten deshalb: 10”‰€ – ein Teil geht aber davon an die American Civil Liberties Union (ACLU). Der Film ist in Berlin seit Anfang April auch in acht weiteren kleinen Filmkunsttheatern zum Normalpreis zu sehen. Wir bitten genaue Termine den üblichen Veranstaltungskalendern zu entnehmen. Schon im nächsten Monat soll er auf ARTE-TV gezeigt werden, weshalb er wohl nicht lange auf der großen Leinwand im Kino zu sehen sein wird.

American Voices Abroad Berlin, die den Film Mitte April im Lichtblick-Kino präsentiert, ist eine Gruppe in Berlin lebender Amerikaner, die sich bei Protesten gegen den Irakkrieg im März 2003 zusammengeschlossen hat. Seitdem beschäftigen sie sich aus ihrer Auslandsperspektive mit den Fragen der amerikanischen Außenpolitik, aber auch mit den wichtigsten innenpolitischen Fragen.

"I AM NOT YOUR NEGRO" Doku von Raoul Peck. (OmU)
USA/Frankreich/Belgien/Schweiz 2016, 93”‰Min. Seit 30. März 2017 im Kino. Publikumspreis des Panoramas auf der 67. Berlinale 2017. Hier der Trailer:



Über den Film:

Als der Schriftsteller James Baldwin 1987 in Frankreich verstarb, hinterließ er ein unfertiges Manuskript mit dem Titel "Remember This House". Darin beschäftigt er sich mit der Geschichte des Rassismus im modernen Amerika und greift auf seine Erinnerung bezüglich seiner Freunde und Bürgerrechtsaktivisten Malcolm X, Medgar Evers und Martin Luther King zurück. In Dokumentarfilmform arbeitet Regisseur Raoul Peck dieses Material auf und verwendet dafür ausschließlich die originalen Worte des Schriftstellers, gesprochen von Samuel L. Jackson.

Das Buch sollte eine persönliche Auseinandersetzung mit den Biografien der drei engen Freunde werden, die alle bei Attentaten ermordet wurden. Im Film kommen Aufnahmen von öffentlichen Auftritten des Schriftstellers im Fernsehen und auf Bürgerrechtsveranstaltungen dazu sowie Ausschnitte aus den Hollywood-Filmen, die ihn inspirierten und antrieben.

"I Am Not Your Negro" schreibt Baldwins furioses Fragment im Geiste des Autors filmisch fort und verdichtet es zu einer beißenden Analyse der Repräsentation von Afro-Amerikanern in der US-Kulturgeschichte. Baldwins Worte ertönen über Archivfotos, Filmausschnitte und Nachrichten-Clips der 1950er und 60er Jahre, die noch von Rassentrennung und einer beinah vollkommenen Unsichtbarkeit der Schwarzen in Hollywoods geprägt waren; sie erzählen von der Formierung der schwarzen Bürgerrechtsbewegungen und Baldwins kompliziertem Verhältnis zum Black-Power-Movement. In einer kühnen Erweiterung des literarischen Texts spannt der Film den Bogen bis in die Jetztzeit: zur noch heute gegenwärtigen weißen Polizeigewalt gegen Schwarze, den Rassenunruhen von Ferguson und Dallas und der Black-Lives-Matter-Bewegung. Wegen des sich schon damals abzeichnenden verschärften Vorgehens gegen Schwarze und Homosexuelle verlies der schwule Schriftsteller die USA und lies sich in Europa nieder, weil er in seiner Heimat um sein Leben fürchten musste.

In einem hochpolitischen Prozess der Aneignung schreibt "I Am Not Your Negro" damit die US-Geschichte aus einer bis heute unterdrückten Perspektive neu. Raoul Peck ist damit ein pointiertes Essay über Amerikas tief sitzenden Rassismus und ein Höhepunkt seines politischen Weltkinos gelungen. Der aus Haiti stammende Regisseur ("Lumumba", 1992/2000; "Der Mann auf dem Quai", 1993; "Der junge Karl Marx", 2017) wurde für seinen mitreißenden Dokumentarfilm-Essay auf der diesjährigen Berlinale mit stehenden Ovationen gefeiert und mit dem Panorama-Publikums-Preis ausgezeichnet. Der Film war zudem für den Oscar als bester Dokumentarfilm nominiert.




Darüber hinaus sollten ebenfalls am 30. März 2017 zwei weitere Filme in den Kinos gestartet sein, darunter ein anderer kritischer Dokumentarfilm, zu denen Elisabeth Nagy uns jeweils Filmkritiken hat zukommen lassen, die wir hiermit gerne ebenfalls nachreichen wollen.

Der nachfolgend beschriebene brasilianische Spielfilm "Seashore" wird von Pro-Fun Media vertrieben, ein Verleih, der sich auf schwul-lesbische Spielfilme konzentriert hat und damit fast ein ähnliches Spektrum abdeckt wie die Edition Salzgeber & Co. Medien GmbH, die sich ebenfalls dem queeren, aber eher feinen Dokumentarfilm verschrieben hat und die oben genannten Doku "I Am Not Your Negro" vertreibt. Somit ist die von uns ausgewählte Zusammenstellung durchaus als passend anzusehen.

"SEASHORE (Beira-Mar)" Gay-Romantic-Drama von Filipe Matzembacher & Marcio Reolon.
Brasilien 2015. Weltpremiere im Forum der 65. Berlinale. Der Film sollte eigentlich ab 30. März 2017 im Kino zu sehen sein, ist aber voraussichtlich erst ab 14. April 2017 nur auf DVD zu haben, was schade ist, denn Kinofilme gehören auf die große Leinwand.

Inhalt:
Es ist Winter in der südlichsten Region Brasiliens. Zwei junge Männer reisen in eine nahe gelegene Küstenstadt, um Papiere für eine Familien-Erbschaft zu besorgen. Tomaz (Maurí­cio José Barcellos), der schüchterne aber zugleich forsche Freund, der genau weiß, was er will, und der andere, Martin (Mateus Almada), verwegen aber zugleich zu cool, um seine Zuneigung für Tomaz offen zu zeigen.

Man merkt, die beiden gerade 18-jährigen Jungs kennen sich schon länger, haben sich aber entfremdet. Schritt für Schritt werden wir Zeugen einer intimen Wiederannäherung. Martins Familie reagiert zunächst abweisend auf ihre Anwesenheit. Den Freunden bleibt nichts anderes übrig, als sich langsam wieder aufeinander einzulassen - sei es bei erotischen Computerspielen oder beim Austausch über ihr Leben und ihre Beziehung. Das kalte blaue Meer tobt, doch je länger Martin und Tomaz zusammen sind, umso mehr erkennen sie, dass sie trotz aller Widrigkeiten eine unverfälschte und warme Energie miteinander verbindet. Ein Film über eine Freundschaft und eine ganze Generation, deren sexuelle Präferenzen sehr flexibel sind. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Martin muss in einer Familienangelegenheit zur fernen Verwandtschaft. Er nimmt seinen Freund Tomaz mit. Man raucht gemeinsam, redet Nächte lang, feiert. Die Figuren bleiben in der Schwebe, die Kamera ertastet sie und bleibt doch immer auf Abstand. Der Titel gebende Strand ist nur der Auslöser für die Erinnerungen, denen die Regisseure Filipe Matzembacher und Marcio Reolon folgen. Die beiden haben sich an der Filmhochschule kennengelernt. Erst an der Uni erfuhren sie, dass sie beide an eben jenem Ort, an dem der Film spielt, die Sommer verbracht haben.

Für "Beira-Mar", der unter dem internationalen Titel "Seashore" bereits 2015 im Forum der Berlinale gezeigt worden war, haben beide Regisseure ihre Erinnerungen und ihre damaligen Wünsche aufgerufen und in eine Coming-of-Age-Geschichte über zwei Jungen gegossen. In dem Sinne ist "Beira-Mar" autobiografisch, ohne ein exaktes Abbild zu sein. Sie besetzten die Rollen der beiden 18-jährigen mit jungen Darstellern, die selbst noch gar nichts, bis auf Kurzfilme, gedreht hatten. In über sieben Monaten probten und formten sie diese Rollen. Für die eigentlichen Dreharbeiten hatten sie 30 Tage, in denen sie auch in dem Haus, in dem sie drehten, wohnten. Die beiden Regisseure, Jahrgang 1984 und 1988, interessieren sich für die Gefühlswelten ihrer Protagonisten. Das Meer ist hier nicht nur ein Ort, sondern steht auch für die Natur, der man sich stellen muss.

Elisabeth Nagy


"Von Bananenbäumen träumen" Dokumentarfilm von Antje Hubert.
Deutschland 2016, 93 Minuten. Offiziell seit 30. März 2017 im Kino. In Berlin ist der Film nochmals nur am 9. April 2017 als Matinée um 11:15 Uhr im fsk in Kreuzberg zu sehen.

Nicht nur in der US-Doku "I Am Not Your Negro" regt sich Bürgerwiderstand. Auch im norddeutschen Oberndorf geht es um Widerstand, wenn auch im sehr viel kleineren Maßstab. Man revoltiert gegen das Schicksal, das der Gemeinschaft in Form von Schulschließung und finanziellen Nöten droht. Die Bewohner wollen es selbst in die Hand nehmen, ihren Ort doch noch zu retten, mit kühnen Plänen und einer Aktiengesellschaft. Ihr Geschäftsmodell beinhaltet dabei Gülle, afrikanische Welse und sogar Bananenbäume.

Regisseurin Antje Hubert hat fast drei Jahre lang die Bewohner und die Entwicklungen in Oberndorf aus nächster Nähe verfolgt und die engagierten Menschen zu lieben gelernt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Landflucht in Europa porträtiert sie eine kleine, aber wachsende Dorfbewegung, die sich aus Einheimischen und Zugezogenen, jungen und alten Personen zusammensetzt. Dabei zeichnet sie ein Bild der Dorfbewohner als Kollektiv, gibt aber auch einzelnen Menschen Raum. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Der Niedergang der Dörfer ist ein kaum aufzuhaltender Prozess. Arbeitsplätze sind rar gesät, die Bauern erwirtschaften nicht mehr genug, irgendwann wird die Schule geschlossen, möglicherweise macht die lokale Bank zu. Antje Hubert kommt vom Dorf, ihr ist das Phänomen nicht fremd. Genau das war ihr “persönlichen Impuls”, um diese Entwicklung einmal filmisch anzugehen.

Antje Hubert, Regisseurin von “Das Dorforchester” und zuletzt “Das Ding am Deich”, griff das Thema auf, nachdem sie über die Initiative “Mobile Kino Niedersachsen”, in dem Dorf Oberndorf im Landkreis Cuxhaven, zu Gast war und auf eine Dorfgemeinschaft traf, die sich aktiv um den Erhalt ihrer Gemeinde bemühte. Von den einstig rund 70 Höfen der Ortschaft waren da nur noch die Hälfte im Betrieb. In den folgenden drei Jahren kehrte sie immer wieder zurück, mit einem Filmteam.

Die Dorfler von Oberndorf träumen von Bananenbäumen, das hört sich gewagt an, aber abwegige Lösungsideen sind besser als ein die Hände in den Schoß legen. Es wurde schließlich eine Aktiengesellschaft gegründet, um eine Biogasanlage zu betreiben und nebenher auch noch Welse zu züchten. Einfach war das nicht. Die Behördenmühlen mahlen langsam, es brauchte einen langen Atem. Immer wieder zeigt uns Hubert darum, was das Dorfleben und den Alltag ausmachen. Leider gehört der Kampf um den Erhalt der Schule dazu. Aufgeben ist in Oberndorf keine Option. Dabei zeugen die liebevoll gemalten Zwischentitel von Zweifel und Mut gleichermaßen. Mit kleinen Animationen (des Zeichners Rainer Ludwig) übertrug das kleine Filmteam die Träume der Bewohner direkt in den Film. Antje Hubert hörte den Bewohnern nicht nur zu, vermittelt nicht nur ihren Elan, sondern zeigt auf, wie sich die Einstellung auf die Kinder des Dorfes übertrug, die ihrerseits Ideen einbrachten und aktiv wurden.

Eine Gesellschaft, die zahlreich ins improvisierte Kino im Gemeindesaal strömt, um zum Beispiel den Film einer jungen deutschen Filmemacherin zu sehen, scheint nicht nur den Sinn für die Träume des Kinos, sondern allgemein das Träumen noch nicht verlernt zu haben. Damit eine Dokumentation über den Willen, sich gegen einen Trend zu stemmen und etwas für sein Dorf zu erreichen, auch anderen Mut macht, wird “Von Bananenbäumen träumen” auf über eben diese Dörfer tingeln. Gut so.

Elisabeth Nagy

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