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"Lit as fuck" - Coole Filme auf der Berlinale

Die Jugendjury der Berlinale fand viele Filme einfach geil.
Drei Filmkritiken von Elisabeth Nagy zum »Generation« Programm.




Bei der Preisverleihung der gläsernen Bären auf der Bühne im Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu den 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin, gab es nur noch einen Ausspruch: "Lit as Fuck" was unter Jugendlichen so viel heißt wie abgefahren oder cool.

Dazu gehörte auch der kanadische Streifen mit dem längsten Titel des ganzen Festivals "Ceux qui font les revolutions a moitie n'ont fait que se creuser un tombeau" der von der Jugendjury eine lobende Erwähnung bekam. 

Elisabeth Nagy hat sich den Film von Mathieu Denis und Simon Lavoie angesehen, der nach Meinung der Jury eine destruktive Gruppendynamik präzise porträtiert, und stellt uns freundlicherweise ihre Rezension zur Verfügung.

"Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves"
Berlinale Generation 14plus (ab 16) von Mathieu Denis & Simon Lavoie [Kanada]
Hier der Trailer:



Filmkritik:
Die Studentenbewegung bzw. die Studentenunruhen von 2012 gaben den Filmemachern Mathieu Denis (“Corbo”) und Simon Lavoie (“Laurentie”) den Anstoß zu einem Film, der halb Manifest, halb Theater ist, der als Essay funktioniert, aber als Spielfilm weder Kontakt zum Publikum sucht, noch eine Brücke zu einer Zielgruppe schlagen kann. Dabei ist es nicht die Lauflänge von knapp mehr als drei Stunden, sondern der Wille ein sperriges Monstrum in den Raum zu setzen, der aneckt und aufregt je nach Publikum an anderen Stellen.

Ein Requiem steht dabei vor dem ersten Bild, das sich erst nach über fünf Minuten öffnet. Musik eröffnet schwer dräuend über einer Schwarzblende, die dann von einem Newskanal mit Voiceover übernommen wird. Schriften von diversen Autoren werden in Blocksatz auf das Bild gesetzt, als eine Art Zwischentitel werden Zitate, ohne Kennung (erst der Abspann verrät die Zugehörigkeit) an die Wand geschrieben. Es ist Revolution, Baby. Ganz konkret schwenkt die Kamera über die Universitätshalle in der sich die Studenten gegenseitig agitieren und mitunter schlagen. Inszenierung? Teilweise.

Überhaupt ist "Those Who Make Revolution" visuell sperrig, auch wenn die Settings wunderbar ausgestattet und ausgeleuchtet wurden, so dass auch die Kommune der Handvoll Hauptfiguren wie in einer dekadenten Blase zu hausen scheint. Nacktheit soll hier wohl nicht provozieren, hat aber an sich keine erkennbare Funktion. Es ist die Gewalt, die hier die Dramaturgie leitet. Erst nur verbal, dann eskaliert sie von einem Faustschlag zu einer Rauchbombe in einer U-Bahn. Es folgen weitere terroristische Mätzchen, die sich diese versprengte Gruppe von Studenten in ihrem eigenen Loch ausdenkt. Bis sich die Gewalt irgendwann gegen sie selbst richtet, auch hier zuerst nur in Schlägen bis es blutet. Wie sinnlos das alles ist, denkt man angesichts der Mittel, die noch folgen werden. Ohne zu wissen, ob das auch so gemeint ist.

Es sticht hervor, wie ernst das Drama daherkommt. Während die Filmemacher Mathieu Denis und Simon Lavoie sich die Arbeit gemacht haben, Archivisches mit Bühnenhaften zu verbinden und dazwischen nicht nur Proklamationen, sondern auch so etwas wie Handlung einzubringen, wechseln sie das Format so oft, dass es vom Akzent zum Mittel wird, ohne den Szenen etwas hinzuzufügen. Das Seitenverhältnis springt zwischen 1:1,66 und dem extremen 1:3,56. Eine Alexa mit alten Lomo-anamorphischen russischen Objektiven kam zum Einsatz. Das Archivmaterial umfasst die 40er Jahre bis zur Jetztzeit und deckt die Bereiche Politik und Literatur ab. Immer auf der Suche nach der Initialzündung für eine Revolution. Szenen, die spezifisch auf die kanadische Politik, genau genommen auf Quebec verweisen, werden es im Ausland schwer haben. Aber wahrscheinlich werden nicht nur Außenstehende einen schweren Zugang finden. Ein enormes Vorwissen auch philosophischer Natur ist eigentlich unabdingbar, um sich durch das Gestrüpp der Deutungsweisen der Handlungen der einzelnen Figuren zu finden. Da hilft es kaum, wenn die Darsteller frisch von den Theaterschulen kommen und teils selbst an den Unruhen 2012 teilgenommen haben.

Elisabeth Nagy


"Die Beste aller Welten" von Adrian Goiginger
Perspektive Deutsches Kino [Österreich / Deutschland]

Auch in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« lief ein Film, der ebenso gut in das Generation Programm gepasst hätte. Der deutsch-österreichische Film "Die Beste aller Welten" des 25-jährigen Salzburger Regisseurs Adrian Goiginger wurde bei der Berlinale mit dem Kompass-Perspektive-Preis ausgezeichnet. Die mit 5.000 Euro dotierte, erstmals vergebene Auszeichnung würdigt den besten Film der Berlinale-Sektion “Perspektive Deutsches Kino”, hieß es vonseiten des Filmfestivals.

Goiginger, derzeit Student der Filmakademie Baden-Württemberg, schildert in seinem Film eine Mutter-Kind-Beziehung, die auch schlimmste Situationen übersteht. Der Film berühre “mit seinem sensibel inszenierten, herausragenden Ensemble, ohne kitschig zu werden und geht mit seiner unprätentiösen Bildgestaltung unter die Haut, ohne voyeuristisch zu sein”, begründete die Jury ihre Wahl. Die Geschichte basiert übrigens auf wahren Ereignissen, die der Regisseur selbst erlebt und anders als das dramatische Filmende vielleicht vermuten lässt, überlebt hat. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Adrian ist sieben Jahre alt und er möchte Abenteurer werden. Seine Mutter bestärkt ihn darin. Was immer er möchte, er kann es erreichen und er soll sich von niemandem etwas anderes einreden lassen. Aus Adrian (“Milliardenmarsch”) wurde ein Filmemacher. Student der Filmakademie Baden-Württemberg. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Erstlingsregisseure einen Stoff haben, die sie unbedingt aus sich herausholen müssen, den sie, komme was wolle, teilen müssen. So ist “Die Beste aller Welten” nicht nur ein persönlicher Film, sondern beruht auf Adrian Goigingers eigener Kindheit.

Adrian lebt mit seiner Mutter und ihren Freunden zusammen. In einem Moment sind sie in der Natur, machen ein Lagerfeuer, lassen Feuerwerkskörper krachen, im nächsten hocken sie alle aufeinander in der Bude und trinken und rauchen und Adrian darf dann schon mal eine seiner Geschichten vorlesen. Es ist laut, es ist chaotisch, das Licht kommt kaum in die Wohnung, und der Zuschauer erkennt, was das Kind nicht weiß, dass es die Hölle sein muss. Für Adrian, das Kind, ist es normal. Es fehlt ihm an nichts. Die Liebe seiner Mutter ist zwar durch ihre Sucht oft beeinträchtigt, aber sie tut für ihr Kind alles, alles, alles. Für ihr Kind will sie auch von der Droge los kommen. Gar nicht so einfach.

Adrian Goiginger behält Abstand von seiner eigenen Geschichte, verklärt diese Kindheit nicht, lässt aber durchschimmern, wie diese für ein phantasievolles Kind, dass sich Abenteuer ausdenkt, um sich diese Realität zu erklären, aussieht. Bis sich seine Phantasiegestalten gegen ihn wenden. Als diese zu Dämonen werden, die er nicht los wird.

Die Phantasie hat er sicherlich von seiner Mutter, auch sie erzählt ihm Geschichten, um das Umfeld Kind gerechter zu machen. Da ist der Dealer, der dem Kind gewaltsam Alkohol einflößen will, nur von einem Dämon besessen und wenn der Mann vom Jugendamt kommt, ist das der Putzdienstkontrolleur und Adrian räumt in Windeseile auf. Seine Träume, die einem Fantasyfilm entstammen könnten, sind dann auch der Schwachpunkt der Inszenierung. Mag es am geringen Budget gelegen haben, oder an der Umsetzung überhaupt, die kaum das wiedergeben kann, was man einst mal als Kind sich ausgedacht hatte. Es hätte keiner Höhle im funkelnden Licht und kein Schwert schwingendes Monster gebraucht. Die Stärke des Films ist die Darstellung der Liebe zwischen Mutter und Sohn, die voll Zärtlichkeit ist. Überhaupt ist “Das Beste aller Welten” ein Liebesbeweis an die Mutter, die ihn stets beschützt hat, in Worten und Märchen und in Taten und in löwinnenhafter Rettungen. Sie war schwach, wenn sie sich gegen die anderen, die bei ihr einfielen, wehren sollte, sie wurde stark, wenn es darum ging, in den entscheidenden Momenten das Richtige zu tun.

“Das Beste aller Welten” hat ein Happy End, so könnte man sagen, aber das Positive liegt nicht nur in der Auflösung, sondern in der Figurenzeichnung, die deutlich macht, mit was für inneren und äußeren Widerständen die Mutter zu kämpfen hatte. Dabei wird sie, auch wenn sie ein Junkie ist, nie herablassend dargestellt und auch für die Männer in Adrians Leben, die so gar nicht gut waren für ihn oder seine Mutter, auch sie zeigt er mit Würde. Ohne irgendetwas zu verharmlosen.

Es gibt Momente, da fürchtet sich der Zuschauer. Wenn der Junge Feuerwerkskracher mit in die Schule nimmt. Für ihn stellen die ja keine Gefahr dar. Man möchte heulen, wenn er seinen ersten richtigen Kindergeburtstag feiert und ein Elternpaar ihr Kind abholt, mit der Mutter den üblichen Smalltalk hält, als sich ihr Freund und ihr Dealer plump dazusetzen. In dem Leben eines Kindes kann so schnell so viel zu Bruch gehen. Nein, Adrian Goiginger beschönigt nichts, er steigt aber auch nicht in die tiefsten Niederungen ein, die er selbst als solche ja nicht wahrnehmen konnte. Er erzählt es wie ein Märchen, ein düsteres Märchen, das bezeugt, dass die Liebe am Ende siegen wird.

Elisabeth Nagy


"PIATA LOÄŽ (Little Harbour - Das fünfte Schiff)" von Iveta Grófová, 2017
Generation Kplus empfohlen ab 12 Jahre [Slowakische Republik / Tschechische Republik]

In der Sektion Generation Kplus, also bei den jüngeren, aber dennoch äußerst begeisterungsfähigen Kindern, haben wir uns ebenfalls einen sehr sehenswerten Film für eine Rezension herausgepickt, der in Berlin sogar seine Weltpremiere feierte und von den Kids mit einem Gläsernen Bären als »Bester Film« ausgezeichnet wurde, wie wir gestern schrieben.
Hier der Trailer:



Filmkritik:
Träumt Jarka oder springt sie wirklich ins Meer und sinkt und sinkt und sinkt. Bis sie sich wieder zur Wasseroberfläche stößt. Der Strand ist felsig, Jarka ist tortzdem gerne dort. Ihre Mutter ist auch am Strand. Zusammen mit ihren Freunden. Ausgelassen toben sie am Strand herum. Jarka sieht ihrer Mutter von weitem zu, als wäre diese nicht Teil ihres Lebens.

Jarka, 10 Jahre alt, gespielt von der Debütantin Vanessa Szamuhelová, ist ein Schlüsselkind, sich selbst überlassen, ohne die Zuneigung oder der korrigierenden Hand einer Erwachsenen. Ihre Mutter ist viel zu jung. Wenn sie einmal kuscheln, dann möchte sie die beste Freundin ihrer Tochter sein. Das ist auch schon Teil des Problems. Die Großmutter, die als dritte Generation in dem Haushalt wohnt, ist krank, alt und gemein. Sie kann keine Liebe schenken, damit hat sie bereits das Leben ihrer Tochter auf eine Bahn gelenkt, die weit weg von Harmonie, Verantwortungsbewusstsein und Zukunft führt. Als die Großmutter stirbt, ändert sich nicht zum einen viel und doch ändert sich alles. Lucia (Katarí­na Kamencová) verliert jeden Halt und packt schließlich ihre Sachen, um mal eben auszusteigen. Iveta Grófová nahm sich dem Roman von Monika Kompaniková an, auf Deutsch heißt dieser “Das fünfte Schiff”. Der Roman ist von einer wahren Geschichte inspiriert. Ein Mädchen hatte ein Kleinkind entführt, weil sie sich kümmern wollte. Hier ist der Schwerpunkt etwas anders gelagert. Jarka, die ihrer Mutter heimlich folgt, wird von einer Frau mit einem Zwillingskinderwagen angesprochen, doch bitte kurz auf die Babys aufzupassen. Es bleibt offen, ob sie zurückkommt oder nicht. Die Zeit ist in “Das fünfte Schiff”, international “Little Harbour” ein dehnbarer Begriff. Grófová nimmt den Blick der Kinder auf die Erwachsenen ein. Deren Gefühl von Zeit ist ein ganz anderer.

Jarka nimmt sich der zwei Babies an, was sollte sie auch sonst tun. Da nun aber niemand mehr da ist, der sich um sie kümmert, kümmert sie sich um sich und um die zwei Kinder. Und den Nachbarsjungen, der von der Fürsorge seiner Eltern schier erdrückt wird, wobei Fürsorge durchaus nicht mit Zuwendung gleichzusetzen ist, den spannt Jarka gleich mit ein. In dem verwunschenen Garten der Großmutter ziehen sie in den Schuppen und spielen Familie. So gut es eben geht. Behutsam baut Gráfová die Figuren auf, die Kamera immer auf Augenhöhe der Kinder, ihr Blick auf die Umwelt ist immer voller magischer Momente, voller Farben und Lichtspiele. Mag das Umfeld noch so trist sein, immer wieder sehen wir wie die Kinder diese Umwelt wahrnehmen. Wir fühlen mit ihnen. Nur ab und an, es lässt sich nicht vermeiden, kommt der Erwachsene in einem durch und man fürchtet sich. Was werden sie tun, wenn es ein Problem gibt, wenn ein Kind nicht zu husten aufhört. Die beiden Kinder halten mit aller Kraft an ihrem Traum von ihrer Familie fest. Jarka weiß es nicht, aber es ist ihr Weg mit der Last fertig zu werden, die sie von ihrer Mutter geerbt hat und diese sicherlich von ihrer. Während erwachsene Zuschauer der Seele der Kinder nachempfinden, sich von ihrer Unschuld rühren lassen, um sie bangen, wissen diese etwas, was wir Erwachsenen schon nicht mehr kennen, dass die Zuversicht immer noch etwas reißen und dass die Welt magisch sein kann. Grófová vermittelt den Blick ihrer beiden Hauptdarsteller und lässt uns diese einnehmen. Die Verletzungen schmerzen, aber der Traum vom Haus, vom Boot von der Familie, der überragt alles.

Elisabeth Nagy

Link: www.berlinale.de

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