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Maren Ades "TONI ERDMANN" in der Rezension

Das 34. Internationale Filmfest München eröffnet heute mit "TONI ERDMANN" von Maren Ade



Wie gestern bereits in unserer Übersicht zum 34. Filmfest München erwähnt, eröffnet das Internationale Filmfest heute Abend mit dem Film "TONI ERDMANN" von Maren Ade, der mit Kritikerlob auf dem Internationalen Filmfestival von Cannes überhäuft worden war, und dennoch mit keinem Preis von der Internationalen Jury bedacht wurde.

Wir freuen uns eine ausführliche Rezension von Katharina Dockhorn nachfolgend veröffentlichen zu können. Einzelheiten zum Inhalt über den Feature-Film lesen Sie bitte in unserem Bericht vom 22. Juni 2016. Hier aber nochmals der Trailer:



Ich bin der Coach“ stellt sich Toni Erdmann den Kollegen und Geschäftspartnern der smarten Unternehmensberaterin Ines vor, die sich von dem schrägen Typen mit Langhaarperücke und Faschings-Gebiss gestört fühlen. Er passt nicht in ihre konfirmierte, kühle Welt des Big Business. Was in dem fälschlich als Komödie eingestuften Drama der Berliner Schule zumindest für einen Lacher sorgt.

Der Film wurde in Cannes mit Ovationen erschüttert. Die Erwartungen in Deutschland daher groß. Zu groß. Wer den Film und dessen Grundkonstrukt durchschaut, was nicht unbedingt schwer ist, kann sich an der großartigen Performance der beiden Hauptdarsteller erfreuen. Überraschende Wendungen in der Handlung bleiben indes aus, der Film verlässt nie die einmal eingeschlagene Bahn der Behandlung einer Depressiven, die sich weder den Symptomen, noch ihrer Krankheit stellen mag.

Unternehmensberaterin Ines gehört zu jener Generation ehrgeiziger Menschen um die 30, die gewissenlos Firmen sanieren und Tausende auf die Straße setzen. Rund um die Uhr ist sie einsatzbereit, das Handy diktiert den Alltag. Der Stress hat dem Workaholic zugesetzt. Ihre Depression ist nicht zu übersehen, kein Lachen huscht über ihr Gesicht.

Ihre Mutter wirkt hilflos, aber Papa Winfried ist über den Zustand alarmiert. Wie viele Alt-68er hat der Lehrer Frau und Kind früh verlassen, heute ist er seiner Tochter entfremdet. Doch im Gegensatz zu seinen Altersgefährten, die ihr Versagen als Väter den Müttern und der Gesellschaft in die Schuhe schoben und Deutschland eine Scheidungsrecht überstülpten, dass Hunderttausende Frauen in die Armut trieb, will er für seine Tochter da sein. Er reist ihr nach, ins fremde Bukarest, um sie zu retten.

Die ersten Versuche, wieder eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen oder zumindest einen Kontakt herzustellen, scheitern kläglich. Winfried greift zu einem uralten Trick. Er schlüpft unter eine billige Perücke, schiebt sich ein Gebiss mit großen Eckzähnen in den Mund und geistert fortan als Toni Erdmann durch Ines‘ Leben. Dabei wirkt er wie ein Verschnitt von Kerkelings schmierigen Horst Schlemmer.

Brav arbeitet der Film fortan die Stationen der Behandlung einer Depression ab –von der Kunsttherapie über die Begegnung mit den Urängsten, das Ablegens des äußeren Zwangssymbols beim Ablegen der typischen Business- Klamotten bis hin dem Entblößen der nackten Seele. Was bei Maren Ade zur Anlehnung an Andersens „Kaisers neue Kleider“ und Nacktpartys der 68er mündet. Doch Ines‘ Kollegen sind im Vergleich zu den Eltern total verklemmt. Der Befreiungs-Traum der 68er ist Out und das Lebensgefühl nicht wiederholbar.

TONI ERDMANN“ funktioniert auf der oberflächlichen Ebene als mit absurden Mitteln geführter Kampf eines Vaters um seine Tochter. Die hagere, kühle Sandra Hüller, die in die Fußstapfen von Nina Hoss tritt, und der Genussmensch Peter Simonischek bringen die Seelenlage der beiden nuancenreich auf den Punkt. Zum Symbol ihrer unterschiedlichen Einstellungen zum Leben wird ausgerechnet eine Käsereibe, das Geburtstagsgeschenk des Vaters, das nicht zu Ines‘ Designerküche passt, in der sie wohl noch nie ein Essen selbst zubereitet hat.

So wird das Drama auf der Subebene zur Bestandsaufnahme des psychischen Zustands der deutschen Gesellschaft, in der sich die Alt-68er sich zur Ruhe setzen, die sie beim Gang durch die Institutionen geprägt haben. Und die nun erschrocken feststellen, dass ihr Streben nach Freiheit den Raum für einen entfesselten Kapitalismus in einer globalisierten Welt hervorbrachte, dem ihre Kinder als Götzen dienen.

Wie Ines will sich die Gesellschaft ihre Depression nicht eingestehen. Es geht den Deutschen gut, sie wollen ihre verkrusteten Strukturen nicht ändern. In dieser Hinsicht bleibt auch der Schluss des Films konsequent – nach der Krise ist vor der Krise.

TONI ERDMANN“ ist ein Lehrstück, gefangen im selbst auferlegten Zwang zum dokumentarischen Erzählen und dem Streben nach Authentizität. Wirklichkeit wird eins zu eins nachgestellt, Klischees eifrig bedient. Was vor allem beim Rumänienbild unangenehm auffällt. Während die Filmemacher vom Balkan seit Jahren die internationale Filmgemeinde mit ihren vielschichtigen Dramen über eine Gesellschaft im Wandel überraschen, zeichnet Maren Ade das Leben mit dem Blick eines Westeuropäers ein von Korruption und Schlendrian geprägtes, zurückgebliebenes Entwicklungsland, das nicht in die EU gehört.

Katharina Dockhorn

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