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EU-Datenschutzreform auf der Zielgraden

Breite Front gegen Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.



Im Dokumentarfilm "DEMOCRACY - Im Rausch der Daten" durfte Anfang 2012 erstmals eine Kamera die damalige EU-Justizkommissarin Viviane Reding im Brüsseler Gebäude auf ihrem Weg zur Pressekonferenz begleiten, wo sie der Öffentlichkeit den Entwurf für eine EU-Datenschutzreform präsentierte. Nach vier langen Jahren soll heute, den 17.12.2015, der Schlussstrich unter den zähen Verhandlungen gezogen werden, um sich endlich auf einen Kompromiss für die europäische Datenschutzgrundverordnung zu einigen. Hier der Trailer:



Der Grünen-Netzpolitiker Jan Philipp Albrecht musste als Verhandlungsführer des Parlaments zunächst 4.000 Änderungsvorschläge der Abgeordneten unter einen Hut bringen. Mehrere EU-Länder, darunter Deutschland, drängten auf einen wirtschaftsfreundlicheren Datenschutz. Das Ziel der Verordnung besteht zum einen in einer Stärkung der Datenschutzrechte natürlicher Personen und zum anderen in verbesserten Geschäftsmöglichkeiten durch die Erleichterung des freien Verkehrs personenbezogener Daten im digitalen Binnenmarkt. Zuletzt herrschte Einigkeit darüber, dass nur das gespeichert werden solle, was auch notwendig sei.

Künftig gilt der EU-Datenschutz gleichermaßen in allen Mitgliedsländern und für alle Firmen, die ihre Dienste innerhalb der EU anbieten. Somit können US-Firmen wie Facebook oder Google sich nicht mehr in der EU das Land herauspicken, das besonders niedrige Standards setzt. Die Summe von 2,64 Milliarden Euro als maximale Strafe für Datenschutzverstöße ist selbst für einen Konzern wie Google eine ordentliche Stange Geld. So hoch könnte diese ausfallen, wenn man den Konzernumsatz von 2014 als Bezugsgröße nimmt. Der Schutz der persönlichen Daten von Nutzern ist also keine Bagatelle mehr, die sich bei Missachtung der Regeln mit Hilfe der Portokasse aus der Welt schaffen lässt. Vor allem die Enthüllungen von Edward Snowden brachten neuen Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen, die aber weitere zweieinhalb Jahre andauern sollten.

Warnung vor zu viel Datenschutz.
Auf dem nationalen IT-Gipfel der Bundesregierung, der zum ersten Mal am 18. und 19. November 2015 in Berlin stattfand, warnte Bundeskanzlerin Merkel noch vor zu viel Datenschutz in Europa und erhielt für ihre wirtschaftsfreundliche Position viel Beifall vom Bundeskabinett. Doch wer den Grundsatz der Datensparsamkeit aufgeben will und stattdessen Datenreichtum predigt, hat weder den Datenschutz noch Big Data verstanden. Dessen Begriff wird in vier V's definiert, die für Volume (Größe), Variety (Datenviefalt), Velocity (Geschwindigkeit) und Veracity (Aufrichtigkeit) stehen.

Entscheidend ist nur, dass die Daten hinreichend anonymisiert werden, damit sich keine Rückschlüsse auf konkrete Nutzer ziehen lassen, die bei einer Vorratsdatenspeicherung zu Missbrauch durch oder für öffentliche Stellen führen könnten. Dabei handelt es sich z.B. um Daten, die eigentlich gar nicht gebraucht werden, sondern nur zu statistischen Zwecken angelegt wurden. Erklärter Zweck der Vorratsdatenspeicherung ist aber die verbesserte Möglichkeit der Verhütung und Verfolgung schwerer Straftaten, auch ohne konkreten Anfangsverdacht. Laut Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, gehören dazu auch Datenbanken über Flüchtlinge, um zu erkennen, ob eine Person schon als terroristischer Gefährder gespeichert sei.

"Zwar müsse es eine hohe Datensicherheit geben", sagte Merkel, "aber wenn wir uns das Big-Data-Management, wenn wir uns die Verarbeitung großer Datenmengen selber zerstören durch einen falschen rechtlichen Rahmen, dann wird viel Wertschöpfung nicht mehr in Europa stattfinden". Das wäre für Deutschland von "von großem Nachteil". Deshalb werde es "existenziell notwendig sein, dass der Kompromiss, der zwischen Kommission und Rat gefunden wurde, nicht im Parlament zu sehr verwässert wird", sagte die CDU-Vorsitzende.

Nun werden bald einheitliche und einigermaßen klare Regeln für die Datenverarbeitung in ganz Europa gelten. Nationale Alleingänge gibt es dann in Europa nicht mehr. Die Staaten werden sich den EU-Verordnungen unterordnen müssen. Zuvor hatte bereits Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine rasche Transformation von Wirtschaft und Industrie gefordert.

"Wir müssen offensichtlich an Tempo zulegen", sagte der SPD-Vorsitzende auf dem IT-Gipfel und forderte mehr Anstrengungen für die digitale Transformation. "Ein Drittel der Unternehmen hat keine Digitalstrategie." Das gelte vor allem für den in der deutschen Wirtschaft so wichtigen Mittelstand und für kleine Firmen. "Wir müssen jetzt Voraussetzungen schaffen für unsere Wettbewerbsfähigkeit in zehn Jahren", sagte der Wirtschaftsminister. "Ohne eine digitale Transformation werden wir uns schwertun und vor allem im Vergleich zu den USA und Asien noch stärker zurückfallen", warnte auch Thorsten Dirks, Präsident des Digitalverbands Bitkom. Zwei weitere wichtige Punkte seien die digitale Bildung und die Förderung von Startups. "Die digitale Bildung fängt spätestens in der Schule an und muss ein lebenslanger Begleiter sein", so Gabriel.

Erste Klagen gegen Vorratsdatenspeicherung.
Bereits im Sommer hatten die Medienunternehmen ARD und ZDF sowie die Medienverbände VPRT, dju, DJV, VDZ und BDZV die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen in einer gemeinsamen Stellungnahme dazu aufgefordert, die Pläne zur Neuauflage der 2010 vom Bundesgerichtshof gekippten Vorratsdatenspeicherung nicht weiterzuverfolgen. Dennoch wurde am 16. Oktober 2015 ein neuer Entwurf des Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten vom Bundestag beschlossen.

Es hat allerdings nicht lange gedauert und war von der einen oder anderen Seite zu erwarten gewesen: Die FDP wird laut Präsidiumsbeschluss vom 26. Oktober 2015 eine Verfassungsklage in Karlsruhe gegen den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung einreichen. Laut Parteichef Christian Lindner sei dies kein „Massenverfahren“, sondern eine Klage von ihm als Partei-Vorsitzenden und von weiteren Persönlichkeiten der FDP (Journalisten, Anwälte, etc.), die von dem Entwurf als Berufsgeheimnisträger betroffen seien. Schon im Vorfeld hatten auch der FDP-Vize Wolfgang Kubicki und der frühere Innenminister Gerhart Baum eine Klage in Karlsruhe angekündigt.

Die in dem Gesetzesentwurf vorgesehene Speicherung von Telefonnummern, IP-Adressen und Standortdaten für die Dauer von zehn Wochen untergrabe den Informantenschutz, zu dem Journalistinnen und Journalisten berechtigt und ethisch verpflichtet sind. Bereits der Europäische Gerichtshof hatte an der im April 2014 für ungültig erklärten europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung beanstandet, dass Berufsgeheimnisträger nicht vor der Speicherung ihrer elektronischen beruflichen Kontaktdaten geschützt seien.

Ebenfalls erheblich in die journalistische Arbeit greife die vorgesehene Strafvorschrift zur Datenhehlerei ein, die von den an der Stellungnahme beteiligten Medienunternehmen und - verbänden daher abgelehnt wird. Zwar solle die Entgegennahme, Auswertung und Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter Daten durch Journalistinnen und Journalisten straffrei sein, jedoch gelte dies nur, wenn die Datenhehlerei zuvor bereits vollendet sei. Bereits die Erklärung, rechtswidrig beschaffte Daten entgegenzunehmen, soll nach dem Willen der Bundesregierung dagegen strafwürdig sein. Dies würde jedoch zur einer Kriminalisierung der Medien führen, heißt es in der Stellungnahme weiter.

"Das Ziel journalistischer Arbeit, Informationen über ein mögliches strafbares Verhalten von Amtsträgern, Firmen oder Organisationen aufzudecken und damit zur Meinungsbildung beizutragen, würde konterkariert", heißt es abschließend von der FDP.

Quellen: golem | Filmwirtschaft | Blickpunkt:Film

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