Skip to content

EU will einheitlichen Binnenmarkt im Filmvertrieb

"EU-Pläne bedrohen die Existenz unabhängiger Verleiher und Produzenten".



Bereits am 2. März 2015 gab die Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen, die mit ca. 220 Mitgliedern die wichtigsten deutschen Produktionsunternehmen vertritt, in einem Statement ihre Vorbehalte gegen einen digitalen EU-Binnenmarkt bekannt. Nun schloss sich auch die AG Verleih – Verband unabhängiger Filmverleiher e.V. diesen Forderungen in großen Teilen an und fordert darüber hinaus einen eigenen Sitz im Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt (FFA).

Beide Verbände waren neben anderen Institutionen eingeladen worden, eine Stellungnahme zur Neufassung des Filmfördergesetzes (vsl. gültig ab 2017) abzugeben und sollten sich darüber hinaus zu Plänen der EU-Kommission für einen digitalen Binnenmarkt äußern, dessen Idee in die Neufassung des Filmfördergesetzes einzufließen droht. Darin soll das bisher geltende Territorialitätsprinzip abgeschafft und ein grenzüberschreitender Zugriff auf digitale Inhalte vorgeschrieben werden.

Allerdings hat sich Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters bereits entschieden gegen diese Pläne gewandt:

Ich sage hier ganz deutlich, dass ich vor allem Überlegungen zur Aufhebung territorialer Beschränkungen ablehne“, sagte sie in ihrer Keynote bei einer Veranstaltung der Deutschen Content Allianz: „Es muss auch künftig – etwa im Filmbereich – der Erwerb bzw. Verkauf von Lizenzen nur für einzelne Mitgliedstaaten möglich bleiben. Wer eine Verpflichtung zu europaweiten Lizenzen einführen will, missachtet die ökonomischen Realitäten und baut zudem unnötig Hürden für kleinere national oder regional auftretende Anbieter auf.“



Auch die AG Verleih lässt kein gutes Haar an den Plänen der EU-Kommission zur Abschaffung der Territorialität. In einem an Vertreter des MEDIA-Programms (dem Förderprogramm der Europäischen Union für die audiovisuelle Branche) gerichteten englischsprachigen Brief verleiht die AG Verleih ihrer ernsten Sorge über die EU-Pläne zum digitalen Binnenmarkt Ausdruck. Nach Ansicht des Verbandes würden unabhängige europäische Filme bei Umsetzung dieser Pläne von der Bildfläche verschwinden.

In der AG Verleih sind derzeit 33 unabhängige Filmverleih-Firmen zusammengeschlossen, die vor allem in den Bereichen des deutschen Films und des Arthouse-Films tätig sind. Die auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich vielfältige und lebendige Kinolandschaft verdankt sich zu einem nicht geringen Teil der Arbeit der Mitgliedsunternehmen, die immer wieder gezeigt haben, dass künstlerische Qualität und kommerzieller Erfolg kein Widerspruch ist.

Sie alle beklagen, dass viele Regelungen "auf die Bedürfnisse großer Unternehmen vor allem im Bereich des Mainstream-Kinos zugeschnitten" sind und die "gesunde wirtschaftliche Entwicklung im Arthouse-Segment" behindern: "Nachdem die Aufmerksamkeit der Filmpolitik sich in den letzten Jahren vor allem auf die Produktionsförderung gerichtet hat, sehen wir nun die dringende Notwendigkeit, die Perspektive auf die Bereiche Filmverleih und Kino zu erweitern, um die gerade für den wirtschaftlichen Erfolg notwendige Vielfalt und Innovationskraft sicherzustellen", so die AG Verleih.

Problematisch gesehen wird auch die drastische Zunahme der Verleihverpflichtungen vor Fertigstellung der jeweiligen Filme durch die Notwendigkeit von bindenden Verleih-Vorverträgen für die Produktionsförderung. Ebenso bedenklich sei, dass keine wirtschaftliche Bewertung der Antrag-stellenden Firmen hinsichtlich bereits geleisteter Rückzahlungen von Fördergeldern erfolgt, sowie u.a. "der zunehmende Angriff der TV-Sender und parasitär agierenden VoD-Plattformen auf die Auswertungsfenster und die Auswertungsrechte der Lizenzgeber", heißt es darüber hinaus auf der Webseite der unabhängigen Programmkinos, die in enger Kooperation mit der AG Verleih stehen.

Das Territorialitätsprinzip stellt sicher, dass Verwertungsrechte – natürlich auch für den Online-Bereich – einzeln auf verschiedene Länder aufgeteilt werden können“, erläutert noch einmal Alexander Thies, Vorsitzender des Gesamtvorstands der Produzentenallianz. „Das ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Vermarktung und damit für die Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit insbesondere von Filmproduktionen. Sollte es künftig nicht mehr möglich sein, maßgeschneiderte Vertriebsstrategien für bestimmte Länder umzusetzen, weil jedermann von überall auf diese Inhalte zugreifen kann, wird die Refinanzierung unserer Produktionen erheblich erschwert, wenn nicht sogar verhindert.“

Nach Ansicht der AG Verleih sind die unabhängigen Verleiher die bestimmende Kraft hinter der Verbreitung europäischer Filme innerhalb der EU. Als hochengagierte Player mit besten Beziehungen zu Kreativen, Produzenten und Weltvertrieben, die für jeden Film die notwendige individuelle Verleihstrategie entwerfen, sollten sie, so der Verband, natürliche Partner der EU-Kommission sein. Denn man teile die gemeinsame Vision, dem europäischen Publikum europäische Filme zugänglich zu machen.

Die Pläne der EU-Kommission, über Änderungen am Urheberrecht einen einheitlichen Binnenmarkt schaffen zu wollen, würden jedoch die Existenz unabhängiger Verleiher und Produzenten bedrohen. Am Ende, so die düstere Prognose der AG Verleih, würden unabhängige europäische Filme komplett von der Bildfläche verschwinden.

Zur Begründung dieser Befürchtungen führt die AG Verleih aus, dass die Filmfinanzierung in Europa auf Investitionen aus mehreren Märkten basiert, also darauf, die Finanzierung über die Presales internationaler Verwertungsrechte zu schließen. Eine Abschaffung des Territorialprinzips würde nicht nur derartige Finanzierungsnetzwerke zerstören, sondern in der Konsequenz dazu führen, dass das Verleihgeschäft künftig nur noch in der Hand weniger internationaler Großkonzerne liegen würde. Diese, so die Argumentation, würden weder eine nennenswerte Zahl europäischer Filme akquirieren, noch sich um die Bedürfnisse der unterschiedlichen Märkte kümmern.

Europäische Filme tatsächlich an das Publikum zu bringen, erfordere eine Vielzahl an Überlegungen und genaue Kenntnis der vielen Märkte - und nicht zuletzt den Austausch mit den Programmkinobetreibern vor Ort. Selbst internationale Konzerne würden den Verleih ihrer Filme von Territorium zu Territorium unterschiedlich handhaben. Europaweite Day&Date-Starts, ganz gleich ob in den Kinos oder online, würden zu erheblichen Umsatzeinbußen über die gesamte Verwertungskette hinweg führen. Die ohnehin fragile europäische Filmindustrie würde dadurch in kürzester Zeit "ausbluten", so die AG Verleih. Europäer würden europäische Filme nicht etwa früher, sondern perspektivisch überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Anstatt die europäische Filmindustrie zu bedrohen, müsse ein neues Europäisches Urheberrecht dahingehend entworfen werden, die nationalen Märkte zu schützen. Ein einheitlicher Markt, bereinigt von der unabhängigen Filmindustrie, würde lediglich Hollywood nähren.



Auch der Deutsche Kulturrat befasst sich ständig mit den geplanten Änderungen am Urheberrecht sowie mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen, das leider in Geheimverhandlungen geführt wird. Es ist zu befürchten, dass die Verhandlungen mit den USA zum Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) mit ein Grund für die Forderungen der EU zur Aufhebung territorialer Beschränkungen sein könnten.

Die Befürworter des TTIP-Abkommens erhoffen sich vom freien Handel Wohlstandsgewinne. Dahinter steckt das zentrale Argument aller Wirtschaftsliberalen:

Wenn Zoll- und andere Handelsschranken fallen, konzentriert sich jedes Land auf das Geschäft, das es am besten beherrscht. Weil jeder tut, was er am besten kann, können mehr Dinge günstiger und möglicherweise auch in besserer Qualität produziert werden als zuvor. Innovationen werden gefördert, weil sie sich auf größeren Märkten schneller rentieren. Am Ende profitieren alle: Die Verbraucher bekommen mehr Auswahl zu günstigeren Preisen. Die Unternehmen verkaufen mehr. Die Wirtschaft wächst, neue Arbeitsplätze entstehen.

Jede Handelsöffnung produziert aber auch Verlierer, die mit der neuen Konkurrenz aus dem Ausland nicht mithalten können. Zudem räumt das Abkommen Konzernen, die im Ausland investieren, weitreichende Sonderrechte ein. Sehen sie ihre Geschäftsinteressen beeinträchtigt, können sie sogar vor ausländischen Schiedsgerichten klagen, die ihre Entscheidungen nicht öffentlich fällen und keiner demokratischen Kontrolle unterworfen sind. Dahinter steckt ein riesiges Geschäft.

Schon vor ziemlich genau 12 Jahren schrieb Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, einen Text über die Gefahren für den Kulturbereich durch die damaligen GATS-Verhandlungen, einem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO, das letztendlich aber nicht zum Zuge kam. Der original Text hat leider eine traurige Aktualität, wenn man GATS einfach durch TTIP ersetzt, denn es geht bei den derzeitigen Verhandlungen auch um die Öffnung des globalen Dienstleistungsverkehrs im Kulturbereich.

"Kunst und Kultur sind auf den internationalen Austausch angewiesen. Kunst, die in nationale Grenzen eingesperrt wird, verkümmert. Ist GATS oder TTIP also gut für die Kultur? Wohl kaum, denn bei den Abkommen geht es um Marktmacht und nicht um Kulturentwicklung. So soll etwa unter dem Stichwort "Meistbegünstigung" erreicht werden, dass Handelsvergünstigungen, dazu zählt unter anderem die Subventionierung von Kultureinrichtungen, allen Mitgliedern der Welthandelsorganisation in allen Mitgliedsländern gleichermaßen zugestanden werden (Inländerbehandlung). Unsere Bibliotheken, Museen, Theater und die digitale Ausrüstung von Kinos würden bei ihrer Finanzierung im direkten Wettbewerb mit Anbietern kultureller Dienstleistungen aus der ganzen Welt stehen."

Die oben genannten Befürchtungen der unabhängigen deutschen Verleiher sind daher sehr ernst zu nehmen. Die Gefahr von des US-Majors überrannt zu werden, die jetzt schon den Kinomarkt beherrschen, ist nicht unbegründet. Allerdings war die Sorge der Verleiher, dass der 2010 gestartete digitale Roll-out in Deutschland schon damals den Vertrieb erschweren würde und das Aus für den Arthousemarkt bedeutet könnte, unbegründet. Mittlerweile ermöglicht dieser vielmehr einen preiswerteren und effizienteren Vertrieb, der mit teuren, analogen Filmkopien weiterhin kaum möglich gewesen wäre.


TTIP bedroht die kulturelle Vielfalt. (Nachtrag)
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen haben ein Gutachten zu den möglichen Auswirkungen von TTIP auf Kultur und Medien in Auftrag gegeben, das hier nachzulesen ist.

Quellen:
Blickpunkt:Film | Die Zeit | Produzentenallianz | AG Verleih | AG Kino | Kulturrat


Anzeige