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Rückzieher des ZDF bei Anne-Frank-Verfilmung

ARD-Sommerkino "extra large" - ZDF-Streit um Spielfilmbeteiligung.



Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender wollen ein Motor der deutschen Filmindustrie bleiben: Die ARD wird in diesem Jahr exakt 138 neue Filme abends um 20.15 Uhr als Erstausstrahlung bringen. Vor allem Degeto-Chefin Christine Strobl freut sich über zwei Sendeplätze für's Sommerkino der ARD.

"Wir bieten ein breites Spektrum von der leichten Sommerkomödie, über den Dokumentarfilm bis zum großen Event. Wir wollen Erfolg für relevante Inhalte und Stoffe", betonte Volker Herres, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen, bei der Jahrespressekonferenz der ARD-Koordination Fernsehfilm und der Degeto Film GmbH in Hamburg im Januar.

Trotz des "großen Sportjahres" mit den Olympischen Winterspielen in Sotschi und der Fußball-WM in Rio de Janeiro sind zahlreiche Fernsehfilm-Erstausstrahlungen vorgesehen, dazu kommen noch etwa 20 neue ARD-Produktionen.

Beteiligungen der Sender an Spielfilmen haben das Nachsehen.
Eigentlich klingen diese Ankündigungen positiv, wenn nicht explizit von TV-Produktionen gesprochen würde, denn Beteiligungen an Spielfilmproduktionen haben offensichtlich das Nachsehen. Das betrifft nicht nur die ARD sondern auch das ZDF. Beide öffentlich-rechtlichen Anstalten schrauben ihre Spielfilmbeteiligungen in letzter Zeit deutlich zurück. Dafür setzen die Sender auf erfolgreiche Eigenproduktionen wie „Die Krupps“, oder Das Adlon. Eine Familiensaga“. Das grämt natürlich die Filmverbände, die sich bereits über die Spätausstrahlungen von Koproduktionen - häufig erst nach Mitternacht - ständig aufregen. Ihre Forderungen lauten: Öffentliche Gebühren in mehr deutsche Filmprojekte zu stecken, um letztendlich auch ein besseres Fernsehprogramm zu bekommen.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn Spielfilmbeteiligungen der Fernsehanstalten müssen zuerst im Kino ausgewertet werden. Im Gegensatz zu den USA, die neuerdings Kino und Zweitauswertung gleichzeitig starten, um professionellen Raubkopierern das Handwerk zu legen, werden bei uns Koproduktionen der Fernsehanstalten mit Sperrzeiten für die TV-Ausstrahlung belegt. So können die Filme oft erst zwei Jahre nach ihrer Entstehung im Fernsehen gezeigt werden.

Bei den schnellen politischen Veränderungen sind dann die Filmgeschichten allerdings meist nicht mehr aktuell, sodass eine Verbannung der Filme nach Mitternacht für die Anstalten als einzige mögliche Konsequenz gilt, während TV-Eigenproduktionen sofort zur Primetime ausgestrahlt werden können und ein Millionenpublikum anziehen.

Streit um Anne Frank Tagebuch-Verfilmung.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Wem gehört Anne Frank? Anfang 2015 ist Anne Franks 70. Todestag. Das Schicksal der Tagebuch-Autorin, die im März 1945 von den Nazis im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde, sollte gleich zwei Mal verfilmt werden – für Kino und Fernsehen. Darum gab es heftigen Streit.

In kaum einem anderen NS-Opfer zeigt sich der Terror der Nazis derart sinnbildhaft und emotional. Der Holocaust bekommt mit dem jüdischen Mädchen Anne Frank aus Amsterdam ein Gesicht. Hier ist ein Mensch gestorben, keine Zahl. Dieses Thema schreit geradezu nach einer Verfilmung. Deshalb wurde der Stoff dem ZDF zuerst für eine Kino-Co-Produktion angeboten, sagt Drehbuchautor Fred Breinersdorfer:

Doch der Sender wollte lieber eine TV-Eventverfilmung.“ Der Vorteil dabei für den Sender: Er muss nicht erst auf die Kinoausstrahlung warten, bevor er zur Zweitverwertung kommt.

Breinersdorfer aber hat ein Projekt mit internationaler Ausstrahlung vor Augen wie den Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“, für den er ebenfalls das Drehbuch schrieb und der für den Oscar nominiert wurde.

Deshalb gab es in der Folge heftig Streit um das Kinoprojekt und den ZDF-Zweiteiler, weil beide Produktionen Anfang 2015 um die Aufmerksamkeit des Publikums konkurrieren. Allerdings ist das ZDF zunächst in die Defensive geraten und musste sich gegen scharfe Vorwürfe der Anne-Frank-Erben verteidigen.

Der Anne Frank Fonds Basel, der von Franks Vater Otto gegründet und von ihm als weltweiter Universalerbe eingesetzt wurde, wirft der Fernsehanstalt und TV-Produzent Oliver Berben „respektloses Verhalten“ vor, Sender und Produzent würden gegen „Fairness und Anstand“ verstoßen, denn der Fonds habe dem Projekt nicht zugestimmt, eine Anfrage bei ihm als Rechteinhaber habe es nicht gegeben. Stattdessen würden Berben und das ZDF „mit der Brechstange“ vorgehen.

Die beiden Seiten kamen nicht zusammen, die weltweiten Rechte für einen deutschsprachigen Spielfilm wurden daraufhin vom Fonds anderweitig „exklusiv“ vergeben: an die Produktionsfirma AVE, ein Unternehmen der Verlagsgruppe von Holtzbrinck, die u.a. den Tagesspiegel herausgibt, und die Firma Zeitsprung Pictures. Sie sollen zusammen mit Breinersdorfer und Regisseur Hans Steinbichler den ersten deutschsprachigen Kinofilm über die Geschichte der Familie Frank realisieren.

Dabei habe der Fonds gegen ein Fernsehprojekt an sich keine Einwände. „Uns geht es aber um die Authentizität, um die integre Geschichtsschreibung. Und die ist nicht möglich, ohne sich auf die Originalquellen, neu erschlossene Archive oder weitere Dokumente zu beziehen“, betont Yves Kugelmann, Stiftungsratsmitglied des Anne Frank Fonds. „Anne Frank ist doch kein Produkt für die Quotenplanung, sondern ein Mensch mit Identität, ein Opfer, das auch posthum geschützt und dessen Geschichte ganzheitlich erzählt werden muss. Gerade in Deutschland hätten wir von einem öffentlich-rechtlichen Sender mehr Sensibilität erwartet".

Auch Breinersdorfer ist es ein Rätsel, wie das ZDF den Film ohne Rechte an den Dokumenten realisieren will: „Wenn man die Geschichte der Familie erzählen möchte, kommt man um das Tagebuch von Anne Frank nicht herum.“

Das ZDF sieht dagegen seine Ambitionen offiziell wie öffentlich beglaubigt, denn rechtlich geschützt ist nur konkrete Erzählweise, der zeitliche Ablauf und der Ton des Tagebuchs, nicht aber das Leben und Leiden von Anne Frank selbst. Außerdem werde das Projekt vom Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, und der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam unterstützt, heißt es beim ZDF.

Doch Anfang März kam dann das "Aus" für das ZDF-Projekt, nachdem die Erben dem Sender weiterhin „respektloses Verhalten“ vorhielten und sich gegen eine Verfälschung der Biografie wehrten, weil der Sender eine offizielle Anfrage zur Nutzung des Quellmaterials nicht für nötig hielt. Nach dem Debakel beschlossen das ZDF, Constantin Film und die Firma Moovie von Oliver Berben die geplante Anne-Frank-Verfilmung unter den gegebenen Umständen für das Gedenkjahr 2015 nicht zu realisieren. Angeblich gebe es noch alternative Projekte zum Jahrestag.

Nach Absage des ZDF greift die ARD nun das Thema auf.
Was dem ZDF misslingt, schafft nun DasErste der ARD. Mit Rückendeckung der Erben verfilmt die ARD das Thema der Anne Frank auf der Basis von Quellentexten und Archivmaterialien, um eine ernsthafte Auseinandersetzung zu dem Thema mit einem modernen Ansatz zu erreichen, heißt es in einer Mitteilung des Senders vom 14. März 2014. Für das ZDF dürfte es eine peinliche Angelegenheit sein, wenn der Film zum 70. Todestag von Anne Frank von der Konkurrenz ausgestrahlt wird.

Quellen: Tagespiegel | Blickpunkt:Film | Frankfurter Rundschau | Bild (Axel Springer)

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