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Isländischer Oscar-Kandidat eröffnet Lübeck

55. Nordische Filmtage eröffnen erstmals im CineStar Lübeck ihr Programm.



Of Horses And Men“, das von Island ins Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film geschickte Spielfilmdebüt von Benedikt Erlingsson, wird am 30. Oktober 2013 die 55. Nordischen Filmtage Lübeck eröffnen. Weltpremiere des Films war übrigens auf dem Internationalen Filmfestival San Sebastián. In der isländisch-deutschen Koproduktion wird humorvoll und dramatisch die einzigartige Verbindung zwischen Menschen und (Island-)Pferden vorgestellt. Glück und Unglück, Liebe und Tod liegen nah zusammen, wenn Menschen und Tiere das Schicksal des jeweils anderen miterleben. Deutscher Koproduzent des Films ist Christoph Thoke (Mogador Film Berlin). Hier der Trailer:



Auch ohne Weltpremieren bleibt das Filmfestival für uns spannend, denn eine neue Generation von nordischen Filmemachern inszeniert sich noch schonungsloser, als es Aki Kaurismäki je getan hat. Manchmal erinnert die Kälte der Szenerie sogar an Tarkowski und Béla Tarr. Dazu gehört z.B. das brandneue finnische Werk "Above Dark Waters" von Peter Franzén aus Helsinki von dem wir hier einen kurzen Teaser eingebunden haben, denn mehr wurde im Netz noch nicht veröffentlicht. Dabei haben mittlerweile den selbst verfassten und selbst verfilmten, angstbesetzten und gewaltverseuchten 70er-Jahre-Kindheitsroman mehr als 70.000 Finnen binnen weniger Wochen gesehen.



Der weitverbreitete Alkoholismus gilt nicht nur als Katalysator für Gewaltausbrüche in Kaurismäki Filmen, sondern ist bare Wirklichkeit. Mit wundervoll besetzten Kinderrollen versuchen mittlerweile auch andere Regisseure auf ähnliche Art das Publikum für die Probleme des Landes zu sensibilisieren. Tatsächlich kommen ja bekanntlich auch die besten Kinderfilme ebenfalls aus den nordischen Ländern und Lübeck hat natürlich dafür eine eigene Sektion.

Dennoch sind wir extra des Festivals wegen nach Lübeck gefahren, um vielleicht etwas mehr Infos auf der Pressekonferenz im noblen Radisson Blu Senator Hotel zu erfahren. Für die wenigen erschienenen lokalen Redakteure war der Aufwand, ein riesiges Büffet vorzubereiten, eigentlich viel zu groß. Dagegen war die Präsentation auf dem Podium erbärmlich halbherzig. Man kennt sich offensichtlich untereinander so gut, dass eine ausführliche Vorstellung der Gesprächspartner unnötig erschien. Die viel zu kleinen Namensschilder wurden sogleich für Fremde nahezu unsichtbar in die Ecke geschoben. Dafür duzte man sich auf dem Podium und sprach sich nur noch mit Vornamen an. Wir als Fremde mussten erst nachhaken, um zu erfahren, dass die junge blonde Dame in der Mitte des unten stehenden Bildes die neue künstlerische Leiterin Linde Fröhlich ist, die zuvor als Theaterleiterin/Disponentin beim "Koki" Kommunalen Kino Lübeck fungierte, das diesmal demzufolge als weitere Abspielstätte hinzu genommen wurde. Es wurde viel über Dinge geredet, die wahrscheinlich nur langjährige Festival Besucher verstehen. Die Präsentation von Trailern und Filmausschnitten war dafür umso kürzer.

Linde Fröhlich - künstlerische Leitung, Mitte (Foto © BAF e.V. 2013)


Erst später fanden wir heraus, dass das neue Eröffnungskino am anderen Ende der - zugegebener Maßen - nicht sehr großen Stadt liegt. Dennoch scheint es ein ordentlicher ca. 20 Min. lange Fußmarsch von Lübecks Wahrzeichen, dem Holstentor, zur Cinestar Stadthalle an der Mühlenbrücke zu sein, den wir uns ersparten. Mit dem Auto kommt man fasst nirgendwo hin, denn Lübecks Altstadt ist fußgängerfreundlich gestaltet und Kraftfahrzeuge müssen quasi außerhalb der Stadtgrenzen parken. Dritter Abspielort ist das Kolosseum, ein alter restaurierter Theater- und Konzertsaal, in dem zwischenzeitlich auch ein kleiner Kinosaal eingefügt worden war, der aber im Zuge von Renovierungsarbeiten wieder entfernt wurde. Die moderne Musik- und Kongresshalle direkt neben dem Radisson Hotel, dem zentralen Treffpunkt für Festivalgäste, wird dagegen offensichtlich nicht vom Festival genutzt.

Lübeck Holstentor (Foto © BAF e.V. 2013)

Immerhin konnten wir erfahren, dass zwei europäische, neun deutsche und zwei internationale Premieren auf dem Festival gezeigt werden. Tatsächlich hatten wir eigentlich mit ein paar Weltpremieren gerechnet, denn außer Filme von großen Regisseuren wie Kaurismäki erreichen uns in Deutschland kaum Filme aus dem hohen Norden. Die Nordischen Filmtage in Lübeck sind in dieser Hinsicht eigentlich einzigartig, so dachten wir. Doch wir wurden eines besseren belehrt. Die Auswahlkommission war nämlich u.a. auf der Berlinale im Panorama und dem Internationalen Film Market sowie bei der Generation (Kinder)-Sektion in Berlin fündig geworden. Die finanziellen Mittel der Stadt Lübeck reichen wohl nicht aus, um sich ausgiebig auf Filmfestivals wie z.B. dem "Rakkautta ja Anarkiaa" (Liebe und Anarchie) in Helsinki umzusehen oder auf dem "Finnish Film Affair" Filmmarkt nebenan bisher Unentdecktes einzukaufen.

Ganz so schwarz wollen wir Lübeck und sein Festival dann doch nicht malen. Immerhin hat die alte Hansestadt das beste und süßeste Marzipan weltweit zu bieten und bei schönem Wetter den Timmendorfer Strand an der Ostsee sowie die schmackhaften Fischrestaurants in Travemünde. Allerdings haben wir nur einen lettischen Film aus den Baltischen Staaten im Programm entdecken können. Vielleicht zeigt das Festival des Osteuropäischen Films in Cottbus mehr, das ebenfalls kurz nach Beginn von Lübeck startet und sich somit wieder mal mit Lübeck ein wenig zeitlich überschneidet. Dänische, norwegische und schwedische Filme sind dagegen zahlreich im Programm zu finden. Sogar Deutschland ist mehrfach vertreten, obwohl es nicht den nordischen Ländern zugerechnet wird. Aber ein deutsches Festival ohne deutsche Premiere, das übrigens vom 30.10. - 3.11.2013 stattfindet, wäre wohl unverzeihlich.

Zum Abschluss sei erwähnt, dass es neben dem Internationalen Wettbewerb, ein umfangreiches Kinder- & Jugendfilmfest sowie eine Retrospektive gibt, die sich diesmal dem ewigen Eis in der Polarregion widmet. Tradition hat auch das "Filmforum", ein Schaufenster des norddeutschen Filmschaffens, das etablierten Filmemachern und Nachwuchstalenten die Chance bietet, ihre Werke auf heimischem Boden einem internationalen Publikum zu zeigen.

Wie sehr die Nordischen Filmtage in der Lübecker Kulturszene verankert sind, zeigt der Mut des örtlichen Kinobetreibers, der die bundeseinheitlich festgelegten Termine von Hollywood Blockbustern in aller Seelenruhe verstreichen lässt, um ein Wochenende lang seine Säle dem Festival zur Verfügung zu stellen.

Link: www.luebeck.de/filmtage/
Quellen: BAF | Tagesspiegel | Nordische Filmtage Lübeck

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