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»Scripted Reality« - Lügengeschichten und Zensur

Können wir den Medien noch glauben?



Nach einer nicht enden wollenden Debatte um Einflussnahme beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, ist der Glaube an freie Berichterstattung - insbesondere in den neuen Bundesländern - schwer erschüttert. Seit Wochen berichten die Medien von den Vorfällen und auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) bezog Stellung. Vor allem wir alten West-Berliner sind hellhörig geworden, auch wenn sich die rbb-Intendantin Dagmar Reim sich vor dem Rundfunkrat im April 2013 zu erklären versuchte und Chefredakteur Christoph Singelstein sich bereits entschuldigte. Glücklicherweise gab es vom RBB-Redaktionsausschuss kräftig Gegenwind, der in folgendem Satz gipfelte:

"Der Redakteursausschuss erwartet von einem Chefredakteur, dass er sich vor seine Mitarbeiter stellt und inhaltlicher Einflussnahme von außen ausnahmslos widersteht".

Was war geschehen?
Brandenburgs Regierungssprecher Thomas Braune hatte am 18. Mai 2012 beim Sender angerufen und aus einem bereits gesendeten Magazin-Beitrag eine kritisierte Szene mit Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) von Singelstein herausschneiden lassen. Eigentlich müssten Politiker wissen, dass sie keine Einflussnahme auf die freie Berichterstattung nehmen dürfen. Doch dass ein Sender so schnell nachgibt, ist neu. Offensichtlich ist wieder einmal die Quote wichtiger, als die Wahrheit.

Wir wissen zwar wie sehr Politiker unter Druck stehen, denn die Pleite mit dem Schönefelder Flughafen zermürbte nicht nur den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, sondern lässt auch seinen Nachfolger im BER-Aufsichtsrat Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck manch unüberlegtes Wort seinen Lippen entrinnen. Doch der Fall Christian Wulff, der gerade wegen Bestechlichkeit im Amt im Nachhinein angeklagt wurde, sollte eigentlich eine Lehre für alle Politiker sein.

Angebliche Dokus sind oft nur Scheinwahrheit.
Aber auch was im Privat-TV nach echter Dokumentation aussieht, ist oft nicht echt. Die ARD Panorama-Doku „Lügenfernsehen“ stellte schon im Juli 2011 sogenannte „Scripted Reality“ auf den Prüfstand – und prompt gab es Streit mit RTL.

In der Sendung RTL-Sendung „Unterm Hammer“ wird einer Familie beim Verkauf ihres Hauses geholfen. Zum Schluss der Folge fließen nach der erfolgreichen Versteigerung bei den Besitzern die Tränen. Die Kamera hält voll drauf, sodass der emotionale Moment auch keinem Zuschauer entgeht. Doch die Versteigerung, die der Zuschauer miterlebt, ist komplett gestellt. Das Haus steht heute noch immer zum Verkauf, ihre Besitzer wussten laut eigener Aussage nichts von der Inszenierung.

Scripted Reality“ heißt so etwas. Es sind Sendungen, die im Stil von Dokumentationen gedreht sind, deren Geschichten und Dialoge aber Drehbüchern entstammen und von Laiendarstellern gespielt werden. Nicht nur bei „Scripted Reality“, sondern auch bei Formaten, die vorgeben, Wirklichkeit abzubilden, werde gern nachgeholfen, so die „Panorama“-Autorin Anja Reschke zu FOCUS Online.

Die Privatsender, allen voran RTL, haben kein Problem mit der vorgetäuschten Wirklichkeit. Die Zuschauer seien mündig genug, um den Unterschied zwischen Inszenierung und Realität zu erkennen, heißt es:

„Nachrichten werden als Information ausgewiesen, das Nachmittagsprogramm dagegen als Unterhaltung“, so RTL.

Doch was ist, wenn auch die Nachrichten, wie oben im Fall des rbb plötzlich nicht mehr ganz wahr sind, wo soll dann der Zuschauer noch zwischen Wahrheit und Scheinheiligkeit unterscheiden können?

Tatsächlich wird nicht nur beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) über Einflussnahme auf die Berichterstattung diskutiert. Auch beim Südwestrundfunk (SWR) soll es Versuche der Intervention gegeben haben, berichtete der Spiegel im März 2013. Und zwar von Seiten der CDU Rheinland-Pfalz. Der CDU Generalsekretär Patrick Schmieder hatte sich in einem Brief an den SWR beklagt, dass die CDU-Landeschefin Julia Klöckner beim Mainzer Rosenmontagsumzug im Sender nicht zu Wort gekommen sei, sondern totgeschwiegen worden war. Er wollte deswegen ein paar kritische Anmerkungen beim Sender abgeben.

"Sicher sei der Sender autonom, aber als öffentlich-rechtlicher Sender müsste er auf Ausgewogenheit achten", so Schmieder.

Doch nicht nur im Fernsehen gibt es Zensur. Der beliebte Fernseh- und Radiomoderator Jürgen Domian, dessen nächtliche Jugend-Telefon-Talk-Sendung im WDR weithin bekannt sind, hatte sich kritisch über den neuen Papst Franziskus auf Facebook geäußert. Daraufhin wurde sein eigentlich recht harmloser Beitrag vom sozialen Netzwerk gelöscht. Vermutlich waren es fanatische Kirchenanhänger die Druck auf Facebook ausgeübt hatten. Später entschuldigte sich eine Sprecherin des Netzwerkes und schrieb:

"Unsere Reportingsysteme sind dafür entwickelt, Menschen vor Missbrauch, Hassrede und Mobbing zu schützen, und es ist bedauernswert, dass dabei auch Fehler entstehen können", so Facebook.

Sogar das ZDF trickste bei NSU-Beitrag in den Nachrichten.
Jüngstes Beispiel ist fast ein Skandal. Als das Bundesverfassungsgericht am 12. April 2013 kurz nach 18:00 Uhr entschied, dass türkische Medien beim NSU-Prozess doch einen Platz bekommen müssen, wollte das ZDF - offensichtlich der Quote wegen - besonders schnell mit der Berichterstattung sein. Bei den "heute"-Nachrichten um 19:00 Uhr war jedoch an einer im Hintergrund sichtbaren Uhr zu erkennen, dass das gesendete Statement von Kläger Ismail Erel bereits am Nachmittag voraufgezeichnet war. Ohne das erst später bekanntgewordene Urteil zu kennen, kommentierte der stellvertretende Chefredakteur der Europaausgabe der türkischen Tageszeitung "Sabah" in der ZDF-Nachrichtensendung das Ergebnis als "sehr, sehr positiv".

Das ZDF verwies jedoch nicht auf die Voraufzeichnung, sondern ergab den Anschein, als wäre alles live in der "heute"-Sendung. Erst später wurde der Fehler von einem ZDF-Sprecher zugegeben:

"Es handelt sich nicht um gängige Praxis. Es war ein Fehler, der sich nicht wiederholen sollte", hieß es beim ZDF.

Fazit:
Abschließend kann man sagen, dass Manipultion und Zensur in den Medien auch in demokratischen Systemen offenbar leider an der Tagesordnung sind. Bei »Scripted Reality« ergibt sich jedoch für Autoren ein weites Betätigungsfeld, es zukünftig besser zu machen. Die Drehbuchschulen bieten diesbezüglich sogar manchmal spezielle Kurse an. Die Script Akademie Berlin, die mittlerweile an der DEKRA Hochschule residiert, erwägt zumindest das Thema demnächst als Kurs aufzulegen, wie die Leiterin Kirsten Harder uns am Telefon versicherte. Hilfreich wäre schon eine Hinweistafel zu Beginn der Sendung, dass es sich bei der nachfolgenden Handlung um Fiktion handelt und frei erfunden ist, auch wenn das wahre Leben manch Vorlage für die Geschichte lieferte. Bei Spielfilmen im Kino, die auf einer wahren Begebenheit beruhten waren solch einleitende Sätze zumindest früher üblich.

Quellen: Tagesspiegel | journalist - Das Medienmagazin (DJV) | Fokus | Spiegel

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