Skip to content

Über 7 Millionen auf Job-Suche... auch im Medienbereich

Klagen gegen die Arbeitslosengeld-1-Regelung überlastet Gerichte.


Die zunehmende Anzahl an Klagen gegen das sogenannte Hartz-IV-Gesetz überlastet nicht nur die Gerichte, sondern ist auch immer wieder Anlass für die berufsständischen Verbände und Gewerkschaften auf Korrekturen bei der zur Arbeitslosengeld-1-Regelung der Film- und Medien-Beschäftigten Personen zu pochen, damit die Künstler nicht automatisch in die Arbeitslosengeld-II-Falle tappen.

Noch immer liegt die Arbeitslosenquote in Berlin mit zwölf Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt von 6,6 Prozent – obwohl die Dienstleistungsbranche wächst und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten gestiegen ist. Insgesamt sind aber rund 300.000 Berliner als unterbeschäftigt einzustufen und bundesweit wollen sogar ca. 7,4 Millionen Menschen mehr arbeiten, wie das Statistische Bundesamt Mitte August überraschenderweise mitteilte.

Die bislang von der Agentur der Arbeit veröffentlichte Zahl von bundesweit nur knapp über 3,2 Millionen Arbeitslosen entspricht somit in keinster Weise der tatsächlichen Realität, denn viele von den angeblich Beschäftigten fallen durchs Raster, weil sie oft in manch sinnlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stecken, sagt auch die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Danach müssen sie sich zumeist wieder arbeitslos oder arbeitssuchend melden. Die Wissenschaftler des Statistischen Bundesamtes haben errechnet, das das bislang ungenutzte Arbeitskräftepotenzial von Menschen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren weitaus höher ist, als bisher behauptet.

Die Berliner Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) gibt sich dennoch optimistisch und verkündete Anfang Juli 2012 eine neue Initiative, welche die Erwerbslosenzahl in Berlin bis zum Jahr 2014 von 212 000 auf unter 200 000 senken soll. Zugleich bescheinigte der Landesregierung frischen Mut:

Wir haben es gewagt, ganz konkrete Ziele und Zahlen zu nennen“, sagte sie kürzlich über die „strategische Neuausrichtung der Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik“ und versprach „systematische Qualifizierungen“ und ein Coaching bis nach der Arbeitsaufnahme.

Dagegen sieht die Opposition wenig Neues in Kolats 20-seitigem Papier, bei dem der Schwerpunkt nicht mehr beim öffentlichen Beschäftigungssektor liegen soll, sondern auf Integration im ersten Arbeitsmarkt abzielt.

Allerdings „Learning by doing“ reicht nicht. Film- und Fernsehschaffende müssen ihr Wissen ständig erweitern, weshalb wir immer wieder im BAF-Blog auf Weiterbildungskurse hinweisen. Einige Weiterbildungen, die zum Teil mit einer IHK-Prüfung abschließen, können im Raum Berlin-Brandenburg beim Produktionsunternehmen „Grundy Ufa“ absolviert werden. So lernen die Teilnehmer das echte Tagesgeschäft kennen – und das Unternehmen mögliche künftige Mitarbeiter.

Ein Problem ist jedoch die steigende Arbeitsbelastung, denn Drehtage kosten Geld, heute meist zu viel Geld und überall wird gespart. Um das Budget einhalten zu können, muss die Anzahl der Drehtage sinken, ohne dass die Qualität des Ergebnisses darunter leidet. Dafür wird dann oft die Arbeitszeit verlängert, um das Pensum zu schaffen. So kommen auf das Team oft mehr als 16 Stunden Arbeitszeit, was dem Inhalt der Arbeitsverträge nach eigentlich verboten ist. Doch daran hält sich schon lange keiner mehr, wenn er seinen Job behalten will.

Weniger Arbeitstage bedeuten aber weniger Anwartschaftzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld. Für eine Änderung der Anwartschaft hat sich connexx.av, die Interessenvertretung von Medienschaffenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di schon vor Jahren mit dem Projekt "5 statt 12" stark gemacht. Auf Drängen der ver.di FilmUnion soll ab August 2012 der Zugang zu ALG I etwas erleichtert werden, damit der Abstieg in Hartz IV nicht ganz so schnell droht. Dennoch beklagt ver.di, dass die Regierungskoalition die Chance zur Verbesserung einer verkürzten Anwartschaft vergeben hat. Außerdem sind eine grundlegende Änderungen der Beratungssituation in den Arbeitsagenturen erforderlich. Viele Film- und Fernsehschaffende berichten immer wieder von unzumutbaren Verfahren, von Unkenntnis und unkorrekter Beratung.

Seit der Gesetzesänderung im Jahr 2009 gibt es für sie zwei Möglichkeiten, den Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu erhalten:

• Konventioneller gesetzlicher Anspruch. Innerhalb von 24 Monaten müssen 360 sozialversicherungspfl ichtige Beschäftigungstage (SV-Tage) erreicht werden.
• Kurze Anwartschaft. Es müssen 180 SV-Tage in 24 Monaten erworben werden, überwiegend durch Produktionen mit einer Dauer von nicht länger als sechs Wochen (42 SV-Tage) und das Bruttoarbeitsentgelt der letzten 12 Monate darf die bis dato geltenden, jeweiligen Bezugsgrößen des Jahres 2010 in Höhe von 30.666 € (West) / 26.040 € (Ost) nicht übersteigen, heißt es in einer hier per Download erhältlichen umfangreichen Studie der Hans-Böckler-Stiftung über die berufliche Sitution in Medienberufen.

Änderungen ab August
• Das Anwartschaftsänderungsgesetz wird für weitere zwei Jahre verlängert und nicht wegen Wirkungslosigkeit eingestampft, wie von vielen Wirtschaftsvertretern gefordert.
• Die Befristungsbegrenzung wird von 6 auf 10 Wochen erweitert.
• Die Verdienstgrenze wird auf die derzeit geltende Bezugsgröße von 31.500 € weiter festgesetzt.

BFFS fordert mutige Korrektur zur Arbeitslosengeld-1-Regelung.


Die ab August geltenden Änderungen begrüßt der Berufsverband der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) nur teilweise, da die meisten der kurz befristet beschäftigten Künstler und Kulturschaffenden aufgrund der systemfremden und ungerechten Verdienstgrenze weiterhin leer ausgehen. Schon im April forderte der BFFS eine mutige Korrektur zur Arbeitslosengeld-1-Regelung nicht nur für Künstler und konnte damals dazu erstmals vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales auftreten und öffentlich angehört werden. Die daraufhin erfolgte Pressemitteilung veröffentlichen wir jedoch erst jetzt, da sie nun gut in den oben stehenden Kontext passt.

Der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler freut sich dennoch über die Bemühungen aller politischen Kräfte, die bestehende Regelung wirkungsvoller zu gestalten und die bestehenden Hürden abbauen zu wollen. Neben den BFFS-Vorstandsmitgliedern und Schauspielern Heinrich Schafmeister und Thomas Schmuckert waren auch Eleonore Weisgerber, Florian Lukas, Benno Fürmann und Nina Kronjäger bei der Anhörung im April anwesend und unterstrichen damit die Wichtigkeit des Themas. In einer Stellungnahme forderte Heinrich Schafmeister von den Parteien einen mutigen Schritt bei der Nachbesserung des Anwartschaftszeitänderungsgesetzes. Dieses biete in seiner jetzigen Form kurz befristet Beschäftigten keine ausreichende soziale Sicherung.

Der BFFS befürchtet, dass der nächste Reformschritt wieder zu vorsichtig ist. Damals wie heute ist der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler überzeugt, dass das Reformziel, nämlich der Benachteiligung von kurz befristet Beschäftigten beim Arbeitslosengeld-1-Anspruch entgegenzuwirken, nur erreicht werden kann, wenn

• die Dauer der Beschäftigungen, aus denen die überwiegenden Anwartschaftstage stammen, von 6 Wochen auf mindestens 3 Monate verlängert wird.
• die Verdienstgrenze von derzeit 31.500 Euro ganz gestrichen oder – falls unverzichtbar – weitaus höher angesetzt wird.

Zudem plädiert der BFFS dafür, den kurz befristet Beschäftigten bereits ab einer viermonatigen anstatt einer sechsmonatigen Anwartschaftszeit einen Arbeitslosengeld-1-Anspruch zu ermöglichen.

In seinen Forderungen bezieht sich der BFFS auf eine in Zusammenarbeit mit der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster durchgeführte BEMA-Studie und die Evaluierung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), deren Ergebnisse zeigten, dass die aktuelle Fassung des Anwartschaftszeitänderungsgesetzes nicht greift.

Gerade im Hinblick auf die steigende Zahl der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen sei es dringend notwendig, die Regelung anzupassen. „Das Gesetz darf keinesfalls als Sonderregelung für Kulturschaffende verstanden werden“, betont Heinrich Schafmeister, Vorstandsmitglied des BFFS: „Immer mehr Berufe und Branchen sind von atypischen Beschäftigungsarten geprägt. Wer am Fortbestand unseres Sozialversicherungssystems interessiert ist, darf dieser Frage nicht ausweichen.“

Die eingereichten Vorlagen aller Parteien zeigten, dass drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die unterschiedlichen politischen Forderungen näher beieinander liegen und die Bedürfnisse der Betroffenen besser verstanden werden. „Die Probleme sind erkannt. Jeder Schritt zum Abbau der restriktiven Anspruchsvoraussetzungen geht in die richtige Richtung. Wir wünschen uns, dass die Regierung den Mut aufbringt, einen wirklichen Durchbruch zu wagen", ergänzt BFFS-Vorstandsmitglied Thomas Schmuckert.

Quellen: orangeblue relations gmbh | connexx.av | ver.di | Süddeutsche | Tagesspiegel


Anzeige