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Filmfest Venedig - Preise & Fazit der 68. «Mostra»

Das älteste Filmfestival der Welt zeichnet den russischen Film "Faust" als Sieger aus.



La Mostra internazionale d'arte cinematografica gilt als ältestes Filmfestival der Welt, das übrigens noch immer an seinem Ursprungsort stattfindet und aus Sicht der Filmbranche zu den A-Festivals zählt wie Cannes und Berlin, also zur Oberklasse der internationalen Filmwettbewerbe. Hauptpreis der Mostra, dem Namen nach eigentlich eine reine Filmmesse und kein Wettbewerb, ist der "Goldene Löwe", eine Figur, die wie die "Goldene Palme" in Cannes und der "Goldene Bär" in Berlin an das Stadtwappen angelehnt ist.

Ursprünge auf dem Lido
Der Legende nach geht die Gründung des Filmfestes auf die kommerzielle Idee des italienischen Grafen Guiseppe Volpi zurück, der als Hotelbesitzer auf dem Lido, einer vorgelagerten Nehrung, die Venedigs Lagune von der offenen Adria trennt, nach einer Möglichkeit gesucht haben soll, die sommerliche Touristensaison zu verlängern. Belegt ist, dass es im August 1932 eine erste "Ausstellung von Filmkunst" auf der Terrasse seines Hotels "Excelsior" gab. Preise für die gezeigten Filme wurden damals allerdings noch nicht verliehen. Heute ist das Filmfest Teil der Biennale di Venezia, die unter anderem auch Musik, Theater und Architektur bietet und vom 31. August bis 10. September 2011 stattfand.

Klangvolle Namen beim Festival
So romantisch wie die Strände am Lido mit feinstem goldgelbem Sandstrand für Urlauber aussehen und auch aus Luchino Viscontis Meisterwerk "Tod in Venedig" bekannt sein dürften, war das Leben im Film diesmal nicht. Vor allem den Männern wurde in diesem Jahr einiges zugemutet und sie durchlitten in fast allen Filmen Tragisches, schreibt die Zeit hier. Einer der armen Kerle erlebte das Grauen nach dem verheerenden Tsunami in Japan, ein anderer wurde mit den Abgründen der chinesischen Gesellschaft konfrontiert. Andere mussten mit dem bevorstehenden Weltuntergang klarkommen oder schlichtweg mit der Einsamkeit ihres Lebens. Und so sind es gleich mehrere Schauspieler und vor allem klangvolle Namen, die sich Hoffnungen auf eine Auszeichnung als bester Darsteller auf dem Internationalen Filmfestival machen konnten. Darunter z.B. der deutschstämmige Michael Fassbender, als verzweifelter Psychiater Carl Jung in "A Dangerous Method" und als sexbesessener New Yorker in "Shame", wofür er dann tatsächlich als »Bester Darsteller« des Festivals ausgezeichnet wurde.

Roman Polanskis "Carnage" eine sehr amüsante Adaption von Yasmina Rezas Erfolgsstück "Der Gott des Gemetzels" glänzte ebenfalls mit überragenden Darstellerleistungen, nicht nur von Winslet, die am Lido gleich in drei Filmen zu sehen war, darunter in der TV-Miniserie "Mildred Pierce", sondern auch von Christoph Waltz, John C. Reilly und Jodie Foster, die sich für einen Schauspieler bzw. einem Ensemble-Preis der Wettbewerbs-Jury wärmstens empfehlen. Doch weder Roman Polanski noch George Clooney mit seinem Eröffnungswerk "The Ides Of March" gehen neue Wege in ihren Filmen, auch wenn sie beide unterhaltend und clever umgesetzt sind.

Ausschnitte aus den Filmen können und wollen wir hier nicht zeigen, dafür aber einen überraschend witzigen Werbespot des schweizerischen Arbeiterhilfswerkes Solidar, die Nestlé verspotten und sich darüber freuen, dass George Clooney auch als UNO-Botschafter für eine gerechtere Welt steht. Seine Nespresso Werbung war ihnen aber ein Dorn im Auge, da die Firma keinen fair gehandelten Kaffee in ihren Kaffepads verkauft. Das soll sich ändern und trifft Nestlé vor allem mit der aus Italien stammenden Espresso-Zubereitungsart arg, wie nach Veröffentlichung des nachfolgenden YouTube Trailers mit einem Clooney-Double zu vermuten war.



Nach George Clooney bei der Eröffnung der 68. Mostra waren es am darauf folgenden Tag nun vor allem Madonna, die ihre zweite Regiearbeit "W.E." außer Konkurrenz vorstellte, ein romantisches Drama um König Edward VIII., gefilmt vom deutschen Kameramann Hagen Bodganski ("Das Leben der Anderen") sowie Kate Winslet, die Fans, Publikum und Presse bei ihren Auftritten in Venedig auf dem roten Teppich, im Kino und in der Pressekonferenz in ihren Bann zogen. Mit beeindruckenden Bildern gefiel zudem die von der Leipziger ma.ja.de produzierte Doku "Vivan las Antipodas! " - der zweite Eröffnungsfilm der Mostra, der jedoch ebenfalls außer Konkurrenz lief.

Der japanische Film "Himizu" konfrontierte die Zuschauer dagegen auf äußerst beklemmende Weise mit dem Elend, das die Tsunami-Katastrophe im März in Asien ausgelöst hat. Und der Überraschungsfilm "People Mountain People Sea" berührte mit seinen realistisch anmutenden Bildern aus den Elendsvierteln einer chinesischen Großstadt. Doch wirklich klar schien bei all diesen spektakulären Filmen nur eines zu sein: Das Löwenrennen war in diesem Jahr so offen wie selten zuvor. Dafür sorgte zum letzten Mal Marco Müller, seit 2004 künstlerischer Leiter der „Mostra“. In Zukunft will er sich wieder neuen, eigenen Produktionen widmen. Sämtliche 66 Spielfilme des Festivals waren Weltpremieren, darunter auch die 23 Filme im Wettbewerb um den Goldenen Löwen, die wir hier noch einmal auflisten und davon die wichtigsten, Auszeichnungen rot markiert haben.

Venedig: 23 Filme waren im Wettbewerb

The Ides of March von George Clooney (USA)
Tinker, Taylor, Soldier, Spy von Tomas Alfredson (GBR/GER)
Wuthering Heights von Andrea Arnold (GBR)
Texas Killing Fields von Ami Canaan Mann (USA)
Quando la notte von Cristina Comencini (ITA)
Terraferma von Emanuele Crialese (ITA/FRA)

A Dangerous Method von David Cronenberg (GER/CAN)
4:44 Last Day On Earth von Abel Ferrara (USA)
Killer Joe von William Friedkin (USA)
Un ete brulant von Philippe Garrel (FRA/ITA/SUI)
Taojie (A Simple Life) von Ann Hui (CHN,Hong Kong) Beste Schauspielerin Deanie Ip
Hahithalfut (The Exchange) von Eran Kolirin (ISR/GER)

Alpis (Alps) von Yorgos Lanthimos (GRE)
Shame von Steve McQueen (GBR) Bester Darsteller Michael Fassbender
L'ultimo terrestre von Gian Alfonso Pacinotti (ITA)
Carnage von Roman Polanski (FRA/GER/ESP/POL)
Poulet aux prunes von Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud (FRA/BEL/GER)
Faust von Aleksander Sokurov (RUS) Goldener Löwe von Venedig

Dark Horse von Todd Solondz (USA)
Himizu von Sion Sono (JPN)
Duo Mingjin (Life Without Principle) von Johnnie To (CHN,Hong Kong)
Saideke Balai (Seediq Bale) von Wei Te-Sheng (CHN,Taiwan)
People Mountain People Sea von Cai Shangjun (CHN) Silberner Löwe, Beste Regie


Goldener Löwe für «Goethe» Klassiker
Der russische Film "Faust" hat den Goldenen Löwen der 68. Internationalen Filmfestspiele Venedig gewonnen. Regie führte der 60-jährige Russe Alexander Sokurow. «Faust» basiert auf der gleichnamigen Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe. "Faust" ist nach "Moloch ", "Taurus" und "Die Sonne" Alexander Sokurovs letzter Teil seiner Tetralogie über den Missbrauch von Macht. Jurypräsident Darren Aronofsky hatte - wie nach dem tosendem Applaus der Pressevorführung fast zu erwarten war - Gefallen an diesem monströsen, cinematografischen Meisterwerk gefunden. Sokurow stellt Goethes Tragödie auf den Kopf, liest zwischen den Zeilen und lässt in einem wahnsinnigen Bildersturm die niedrigsten Instinkte ausbrechen, schreibt Blickpunkt:Film. Der Arte TV-Sender zeigt hier einen Ausschnitt mit kurzem Interview.

Weitere «Beste Preise» von US-Regisseur Darren Aronofsky vergeben.
Als «Bester Schauspieler» wurde Michael Fassbender ausgezeichnet. Fassbender, der für seine Rolle in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" bekannt wurde, spielt in dem Film "Shame" des Regisseurs Steve McQueen einen sexsüchtigen Mann. Als seine Schwester zu Besuch kommt, gerät sein Leben aus den Fugen. Als «Beste Schauspielerin» wurde die Chinesin Deanie Ip geehrt. Sie spielt in dem berührenden und sehr gefühlvoll inszenierten Drama "A Simple Life" eine alte Dame, die nach jahrzehntelanger Arbeit als Hausmädchen ins Altersheim abgeschoben wird.

Für die «Beste Regie» wurde ebenfalls ein Chinese ausgezeichnet: Regisseur Cai Shangjun gewann den «Silbernen Löwen» für sein Werk "Ren Sham Ren Hai" (People Mountain People Sea). Es war der Überraschungsfilm, der plötzlich zu einer bösen Überraschung des Festivals führte. Bei der Vorführung des Films legte ein Schwelbrand im Kino kurzfristig die Vorführung lahm. Das Selbstjustizdrama "People Mountain People Sea" basiert auf einer wahren Begebenheit, ein Mann will den Mord an seinem Bruder rächen und folgt dem Täter durchs Land. Für den Regisseur eine adäquate Möglichkeit, "Glück, Recht und Würde" zurück zu bekommen. Der Film soll an der chinesischen Zensur vorbei geschmuggelt sein - was womöglich Folgen hat. Sein Kollege Lou Ye erhielt nach einem ähnlichen Vorfall mit "Summer Palace" 2006 in Cannes Berufsverbot in seiner Heimat.

Kinoverband Filmpreis von Europa Cinemas vergeben.
"Présumé coupable" (Unschuldig verurteilt) von Vincent Garenq mit Philippe Torreton in der Hauptrolle erhielt den Preis des Kinonetzwerks Europa Cinemas. Der Kinoverband vergibt seinen Preis in Venedig seit acht Jahren in der Sektion «Giornate degli Autori».
Das Drama, das international unter dem Titel "Guilty" von Films Distribution verkauft wird, wird nun vom Kinonetzwerk Europa Cinemas bei der Auswertung unterstützt mit zusätzlichen Promotionmitteln und einem längeren Kinoeinsatz. Der Film erzählt die wahre Geschichte von Alain Marécaux, der vor zehn Jahren wegen Kindesmissbrauchs verhaftet wurde - ein Verbrechen, das er nie begangen hat. Verzweifelt versucht er, gegen diesen Justizirrtum anzukämpfen.

Die Jury begründet ihre Entscheidung wie folgt:

"Der Film nimmt einen von der ersten Minute an gefangen: Eine raue und intensive persönliche Geschichte, die unseren Glauben ans Justizsystem erschüttert und ein Thema, das in ganz Europa relevant ist. Die Tatsache, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht, verstärkt nur den Eindruck, dass sich hier das Leben eines ganz normalen Mannes schlagartig in einen kafkaeskes Albtraum verwandelt. Vincent Garenqs Inszenierung ist präzise und unmissverständlich und treibt den Film mit Energie und Tempo voran."

Noch mehr Ehrungen während des Filmfestivals in Venedig
Bereits am ersten Samstag Abend wurde Martin Moszkowicz, Produzent von mehr als 100 Kinofilmen und Vorstand der Constantin Film AG im legendären Hotel Danieli vor traumhafter Venedigkulisse mit dem «Variety's Achievement in International Film Award» geehrt. Der Preis ist die höchste Auszeichnung, die das Branchenblatt für internationale Filmemacher zu vergeben hat, und wurde in diesem Jahr zum ersten Mal für die Bewältigung der Herausforderungen einer sich im Wandel befindlichen Filmindustrie vom Chefredakteur Timothy M. Gray überreicht. Angesichts dieser Auszeichnung ist es überraschend, dass kaum deutsche Filme in diesem Jahr in Venedig zu sehen waren, außer fünf Koproduktionen, also nur mit deutschen Geldern finanzierte Werke, die jedoch nicht unter deutscher Regie produziert wurden.

Nur in der renommierten Nebenreihe «Orizzonti» zeigte ein deutscher Regisseur einen Dokumentarfilm über die Papstwahl: Romuald Karmakar dokumentierte "Die Herde des Herrn". Dazu filmte er die Massen in Rom, die auf dem Petersplatz von Johannes Paul II Abschied nehmen, in Marktl, dem Geburtsort seines Nachfolgers Benedikt XVI, singende Pilger, eine Bäckerin die Papstmützen verkauft, oder andere, die mit Honig oder Kräutertee ihr Geschäft machen. Er kommentiert nicht, sondern beobachtet still.

Geehrt wurden außerdem der US-amerikanische Regisseur Al Pacino und sein italienischer Kollege Marco Bellocchio. Von beiden gab es einen Film außerhalb des Wettbewerbs zu sehen: von Al Pacino „Wilde Salome“ und von M. Bellocchio „Im Namen des Vaters“, eine Neufassung des Films von 1972. Al Pacino wurde mit dem Prix Jaeger-LeCoultre «Glory to the Filmmake» ausgezeichnet, einem Preis für international profilierte Filmregisseure, während Bellocchio den Preis für sein Gesamtwerk erhielt.

Link: www.labiennale.org
Quellen: dpa | Die Zeit | ARD | arte | solidar.ch | Blickpunkt:Film | Die Welt


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