Skip to content

Geht bei der Medienausbildung die Filmkunst verloren?

Kultur- und Geschichtsunterricht müsste um Filmkunst erweitert werden.



In einem Arte TV-Beitrag am 2. Januar 2011 ging Starfotograf Jim Rakete der Frage nach, was klassische Fotografie eigentlich für ihn bedeutet: Sie ist ein Akt zwischen Verführung und Begierde. Immer an der Grenze zwischen Verbotenem und Leidenschaft. Am besten noch vergleichbar mit der Balance zwischen einem zärtlichen Liebesakt und einer gedachten Vergewaltigung. Dabei nutzt er oft einfache Mittel der klassischen Schwarz-Weiß-Fotografie mit einer Linhof Plattenkamera, um zu einem authentischen Ziel zu gelangen. Wendet selbst niemals die digitale Nachbearbeitung an.

"Digitaler Film und Fotografie sind etwas anderes",
sagt der Berliner Fotojournalist Jim Rakete, dem sogar das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main eine Ausstellung 2008/09 gewidmet hatte. Die digitale Welt ist eine Scheinrealität, die etwas vortäuscht, was es in der realen Welt nicht gibt. Schon der französische Begriff Mannequin („Gliederpuppe, Schaufensterpuppe“) bezeichnet jemanden, der eher an einen Roboter als an einen Menschen erinnert und dessen Hauptaufgabe der Einsatz des eigenen Körpers zum Zwecke der Werbung ist. Die Models auf den Laufstegen der Welt sind ausgesuchte bzw. antrainierte Modelle mit Traummaßen für besondere Kleidungsstücke, die der Normalbürger nie kaufen oder tragen kann. Für die Hochglanzwerbung werden die Figuren dazu sogar noch weiter nachbearbeitet und eventuell Schönheitsflecken und Speckfalten einfach wegretuschiert oder gestreckt und verschlankt.

Beim Film geht die digitale Nachbearbeitung sogar noch weiter. Immer mehr Streifen werden vor Blue Screen oder Green Matte gedreht und die darin agierenden Schauspieler oder gezeichnete Figuren erst nachträglich in eine virtuelle Welt versetzt, in der nahezu alles möglich ist. Es geht um Aktion und Fantasiewelten, die angeblich der Zuschauer beim Kauf eines Tickets an der Kinokasse zu sehen verlangt. Die klassische hohe Filmkunst bleibt dabei auf der Strecke.

Schlimmer noch: Die nachfolgende Generation wächst zwar mit den digitalen Medien auf und beherrscht sie spielend, doch der zwischenmenschliche Umgang und die Regiekunst werden nicht gelehrt. Eine Abstumpfung und sogar Verrohung ist durch den Computerwahn manchmal die Folge. Die jungen Schüler stehen heute unter verstärktem Leistungsdruck und Erfolgszwang. Kreative Kräfte werden kaum noch gefördert. Der Kunstunterricht verkommt zur Farce. Nur an einigen wenigen - meist musikalisch orientierten Gymnasien - werden noch begabte Musiker mit ihrem Talent gefördert. Warum geschieht dies nicht bei den anderen Medien? Malerei und Filmerziehung an der Schule sind offensichtlich verpönt, weil Computer en vogue sind.

Ausnahme ist das private Babelsberger Filmgymnasium (BfG), einige der wenigen Schulen, die Film als multimediales Kunstwerk betrachten und interdisziplinäres Lernen als Leitbild verstehen. In der Oberstufe wird Film seit dem Schuljahr 2009/2010 sogar als Grundkurs angeboten. Analytische Auseinandersetzung mit Film und Filmgeschichte wird dabei durch praktisches Arbeiten an allen Phasen der Filmproduktion ergänzt und es kann sogar ein Filmprojekt als fünfte Prüfungskomponente in das Abitur eingebracht werden. Spätestens Ende des Jahres soll in der Medienstadt auf dem Gewerbe-im-Park-Gelände an der Großbeerenstraße ein neuer Campus fertiggestellt sein, der zusammen mit der Medienschule Babelsberg genutzt werden soll und auch eine öffenliche Cafeteria beherbergt.

Berlin ist noch nicht so weit.

Einer unserer BAF-Mitglieder, der vor vielen Jahren erfolgreich an der Deutschen Film und Fernsehakademie (dffb) noch klassische Regiekunst studiert hat, beklagt sich mit Recht über die negativen Ergebnisse, die sich oft aus der simplen, digitalen Filmerei ergeben. In einem speziellen Lernprojekt ist er zurzeit an einem Gymnasium in Berlin-Charlottenburger beschäftigt. Die angehenden Abiturienten können im Kunstunterricht das Wahlfach Film- und Videotechnik belegen, denn der Schule steht - was außergewöhnlich ist - ein komplettes Fernsehstudio einschließlich Avid-Nachbearbeitungsmöglichkeit zur Verfügung. Ähnliche Projekte wurden auch an anderen Schulen verfolgt. Dort ist zwar oft kein Equipment vorhanden, doch in Berlin-Tiergarten gibt es mit dem Medienforum der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung eine zentrale Stelle für Geräteverleih, damit Multimediatechnik als Gestaltungsmittel auch von anderen Schulen genutzt werden kann. Speziell in Brennpunkt Bezirken sollten die Schüler durch die modernen Medien motiviert werden, praktische Erfahrungen mit der Kamera zu erfahren, um eigene Ideen umsetzen zu können. Ziel ist es, die Schüler von der Straße zurück ins Team der Schulgemeinschaft zu holen.

Leider werden die kreativen Möglichkeiten, die die Technik zulassen würde, von den Schülern oft als Jux missbraucht. Wie wir vom Geräteverleih erfuhren, wird sehr viel entwendet oder kommt defekt zurück. Am Charlottenburger Gymnasium ist die Motivation dank besserer Voraussetzungen höher angesiedelt. Dennoch fehlen den Schülern wichtige Voraussetzungen zum Erfolg eines Projektes. Filmgeschichte wurde zuvor nie an der Schule gelehrt. Wer nicht aus familiären Umständen positiv beeinflusst wurde oder sich autodidaktisch selbst mit Film intensiver befasst hat, tut sich schwer eine einfache, klassische Geschichte zu entwerfen. Die Kunst ein Drehbuch zu schreiben, ist sicherlich für den Anfang zu viel verlangt, denn dafür gibt es spezielle Ausbildungsinstitute. Dennoch sollten nicht nur Klamauk und Aktion im Vordergrund stehen, wie es das negativ Beispiel gewisser YouTube Handy-Filmchen zeigt. Leider ist die Filmindustrie mit Rambo-Filmen und Konsorten selber schuld, dass die junge Generation kaum noch Filmkunst versteht und im Kino nicht mehr begehrt. Die Folge ist, dass die wenigen preisgekrönten Filme, außer bei einigen Filmfestspielen, von den Leinwänden nahezu komplett verschwunden sind. Die Verleiher trauen sich nicht mehr, gute Filme für das meist junge Publikum ins Kino zu bringen.

Auf einer Silvesterparty in der "Alten Münze" am Molkenmarkt war ich völlig perplex, wie ein blutjunger DJ zum Auftakt des Abends Jazz, Salsa, irischen Volkstanz und Techno Rhythmen virtuos miteinander verwebte. Dabei brachte er die Besucher der Veranstaltung zum Schmunzeln und animierte einige Partygäste sogar zum ausgelassenen Tanzen. Woher hatte er nur die Begabung oder Erfahrung, klassische Stücke geschickt in zeitgenössische, elektronische Klänge zu integrieren? Die Übergabe zum nächsten DJ, der als einer der älteren und angeblich erfahrenen, teuren Stars gehandelt wurde, gestaltete sich fast zur Katastrophe. Um Aufmerksamkeit zu erregen, knallte der Nachfolger die Regler bis zum Anschlag auf und zerstörte durch unmotiviertes Scratching den vorher sorgsam aufgebauten Beat seines jungen Vorgängers. Doch die schwachsinnige Akrobatik hintern den Plattenteller schien leider zu fortgeschrittener Zeit und erhöhtem Alkoholpegel bei den Silvesterbesuchern mindestens ebenso gut anzukommen, wie die bessere, wohldurchdachte Musikauswahl des jungen Vorgängers.

Nicht anders verhält es sich bei der Auswahl der Mainstreamfilme in den Multiplexkinos. Je größer die Plakatwerbung, desto weniger distanziert rennt das Volk ins Kino und findet diesen Blödsinn auch noch gut. Das Fernsehen verhält sich nicht anders und sendete am Weihnachtsfeiertag statt besinnlicher Komödien, Angst einflößende Actionkrimis wie "Stirb langsam - Jetzt erst recht".

Armes Deutschland, wie weit ist dein Niveau gesunken?

Link: www.berlin.de/sen/bildung/medienforum


PS:
Es gibt aber auch ein paar positive Meldungen. Brandenburger Schüler des Babelsberger Filmgymnasiums veranstalten 2011 das IKZ, das erste Internationale Kurzfilmfestival zum Thema Zivilcourage. Und auch die Kinderfilmuniversität der HFF Potsdam-Babelsberg ist ausgebucht. Wir werden morgen darüber mehr berichten!


Anzeige