TV Kritik: Arte zeigt anspruchsvollen Dokumentarfilm
Die neuen Nonnen von Moskau am 12. März auf Arte.
Anspruchsvoller Dokumentarfilm ist immer noch selten im Fernsehen. Die meisten Dokumentationen sind Features von weniger als 45 Minuten Länge. Dabei hat die Berlinale gezeigt, dass das Publikum bereit ist für längere Dokumentationen. Beim Panorama Publikumspreis belegten die ersten fünf Plätze nicht die üblichen Spielfilme, sondern ausnahmsweise die langen Dokumentarfilme von 90 Minuten und darüber. So war auch der Andrang am Nachmittag des 7. März 2010 im Berliner Kino Babylon:Mitte recht groß, als Arte, NDR und WDR zu einer Preview einluden. Gezeigt wurde ein lange geplantes Projekt von Beate F. Neumann, das erst genau vor einem Jahr verwirklicht werden konnte.
Seit der gewaltsamen Oktoberrevolution 1917 durch die Bolschewiki waren die meisten russisch-orthodoxen Kirchen und Klöster in der UDSSR bis zur Perestroika geschlossen gehalten. Jahrzehntelang hat der KGB die heiligen Mauern als Gefängnis missbraucht. Erst im Jahr 2000 trat eine Wende ein und die Nonnen des Moskauer Iwanow-Klosters konnten endlich wieder die alten Gebäude betreten. Dennoch hat es fast noch zehn Jahre gedauert bis sich eine kleine Nonnenschaar keine 500 m vom Kreml entfernt, hat wieder richtig einrichten können, denn bis unter die Kuppel des Doms stapelten sich die Gerichtsakten.
Auch heute noch steht neben den Klostermauern immer noch eine Leninstatue. Und die Nonnen, die mit ihrem Schleier darin wandeln, einer schwarzen Kluft mit typischer Kopfbedeckung, die nur das Gesicht freilässt und ein wenig an die Burka der Moslems erinnert, werden von manchen Moskauern oft misstrauisch beäugt. Da kann es schon mal vorkommen, dass sie in der U-Bahn als tschetschenische Terroristen verdächtigt werden und sich einer Leibesvisitation unterziehen lassen müssen. Dabei ist ihr Anliegen friedlich, denn sie möchten nur die alten Traditionen ihrer Vorfahren, die während der Sowjetzeit entweiht worden waren, wieder aufleben lassen.
Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt ins Mittelalter erscheint, ist eine typisch russische Zukunftsvision: Die Architektin Mutter Elisaweta (62), die Archäologin Mutter Nikolaja (62), die Philosophin Mutter Elaria (36), die Ingenieurin Julia (37) und die Juristin Olga (29) träumen von einem besseren Russland, das durch einen starken Glauben zu seinen Wurzeln zurückfindet. Mutter Elisaweta, Mutter Nikolaja und Mutter Elaria waren die ersten Nonnen des Iwanow-Klosters, die nach der Revolution von 1917 wieder die Weihe zur Nonne empfangen haben. Julia und Olga steht diese Zeremonie noch bevor. Sie leben seit zwei Jahren im Kloster und durchlaufen eine Probezeit. Nach der Weihe müssen sie alles, was in der Welt für sie Bedeutung hatte, hinter sich zurücklassen: Familie, Eltern, Freunde. Die Weihe zur Nonne bedeutet einen Abschied von der Welt, wie sie sie bisher kannten. Julias Mutter hat ein Leben lang in der sowjetischen Rüstungsindustrie gearbeitet. Für sie ist die Entscheidung der Tochter kaum nachzuvollziehen - Julias Vater, enttäuscht über die Entscheidung seines einzigen Kindes, wird zur Weihe nicht kommen. Olga ist Waise. Ihr Freund kam vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Die Mutter ihres Freundes wird zur Weihe kommen. Sie versucht Olga zu unterstützen, doch die ist längst in einem neuen, geistlichen Leben. Sie sagt: "Ich bin für diese Welt gestorben." Eine Nonnenweihe findet unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur die engsten Angehörigen dürfen dabei sein. Die Autorin Beate F. Neumann hat sich seit vielen Jahren um eine Drehgenehmigung bemüht, jetzt gewährte ihr das Iwanow-Kloster Einblick in seinen streng ritualisierten Alltag, und sie durfte die Weihe der jungen Frauen filmen.
Sicherlich scheint manches für einen modernen aufgeklärten Menschen befremdlich. Doch der Film zeigt eindringlich, dass die Unterschiede von gläubigen Menschen - ganz egal welcher Religion sie angehören - ähnlich und überwiegend friedfertig sein können. Der Frevel den die Sowjets seinerzeit mit der Verbrennung aller Heiligtümer und Reliquien begannen haben ist kaum gutzumachen und viel schwerwiegender. Gleichzeitig ruft er Erinnerungen an die Schandtaten der Deutschen an den Juden im Zweiten Weltkrieg wach und wirbt somit um das Verständnis für Vergebung und den Glauben an Gott.
Die neuen Nonnen von Moskau
Freitag, 12.03.2010 um 22:40 - 00:10 Uhr auf Arte
Doku, Deutschland, 2009
Regie: Beate F. Neumann, Kamera: Yolisawa Gärtig
Stereo | 16:9
Anspruchsvoller Dokumentarfilm ist immer noch selten im Fernsehen. Die meisten Dokumentationen sind Features von weniger als 45 Minuten Länge. Dabei hat die Berlinale gezeigt, dass das Publikum bereit ist für längere Dokumentationen. Beim Panorama Publikumspreis belegten die ersten fünf Plätze nicht die üblichen Spielfilme, sondern ausnahmsweise die langen Dokumentarfilme von 90 Minuten und darüber. So war auch der Andrang am Nachmittag des 7. März 2010 im Berliner Kino Babylon:Mitte recht groß, als Arte, NDR und WDR zu einer Preview einluden. Gezeigt wurde ein lange geplantes Projekt von Beate F. Neumann, das erst genau vor einem Jahr verwirklicht werden konnte.
Seit der gewaltsamen Oktoberrevolution 1917 durch die Bolschewiki waren die meisten russisch-orthodoxen Kirchen und Klöster in der UDSSR bis zur Perestroika geschlossen gehalten. Jahrzehntelang hat der KGB die heiligen Mauern als Gefängnis missbraucht. Erst im Jahr 2000 trat eine Wende ein und die Nonnen des Moskauer Iwanow-Klosters konnten endlich wieder die alten Gebäude betreten. Dennoch hat es fast noch zehn Jahre gedauert bis sich eine kleine Nonnenschaar keine 500 m vom Kreml entfernt, hat wieder richtig einrichten können, denn bis unter die Kuppel des Doms stapelten sich die Gerichtsakten.
Auch heute noch steht neben den Klostermauern immer noch eine Leninstatue. Und die Nonnen, die mit ihrem Schleier darin wandeln, einer schwarzen Kluft mit typischer Kopfbedeckung, die nur das Gesicht freilässt und ein wenig an die Burka der Moslems erinnert, werden von manchen Moskauern oft misstrauisch beäugt. Da kann es schon mal vorkommen, dass sie in der U-Bahn als tschetschenische Terroristen verdächtigt werden und sich einer Leibesvisitation unterziehen lassen müssen. Dabei ist ihr Anliegen friedlich, denn sie möchten nur die alten Traditionen ihrer Vorfahren, die während der Sowjetzeit entweiht worden waren, wieder aufleben lassen.
Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt ins Mittelalter erscheint, ist eine typisch russische Zukunftsvision: Die Architektin Mutter Elisaweta (62), die Archäologin Mutter Nikolaja (62), die Philosophin Mutter Elaria (36), die Ingenieurin Julia (37) und die Juristin Olga (29) träumen von einem besseren Russland, das durch einen starken Glauben zu seinen Wurzeln zurückfindet. Mutter Elisaweta, Mutter Nikolaja und Mutter Elaria waren die ersten Nonnen des Iwanow-Klosters, die nach der Revolution von 1917 wieder die Weihe zur Nonne empfangen haben. Julia und Olga steht diese Zeremonie noch bevor. Sie leben seit zwei Jahren im Kloster und durchlaufen eine Probezeit. Nach der Weihe müssen sie alles, was in der Welt für sie Bedeutung hatte, hinter sich zurücklassen: Familie, Eltern, Freunde. Die Weihe zur Nonne bedeutet einen Abschied von der Welt, wie sie sie bisher kannten. Julias Mutter hat ein Leben lang in der sowjetischen Rüstungsindustrie gearbeitet. Für sie ist die Entscheidung der Tochter kaum nachzuvollziehen - Julias Vater, enttäuscht über die Entscheidung seines einzigen Kindes, wird zur Weihe nicht kommen. Olga ist Waise. Ihr Freund kam vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Die Mutter ihres Freundes wird zur Weihe kommen. Sie versucht Olga zu unterstützen, doch die ist längst in einem neuen, geistlichen Leben. Sie sagt: "Ich bin für diese Welt gestorben." Eine Nonnenweihe findet unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur die engsten Angehörigen dürfen dabei sein. Die Autorin Beate F. Neumann hat sich seit vielen Jahren um eine Drehgenehmigung bemüht, jetzt gewährte ihr das Iwanow-Kloster Einblick in seinen streng ritualisierten Alltag, und sie durfte die Weihe der jungen Frauen filmen.
Sicherlich scheint manches für einen modernen aufgeklärten Menschen befremdlich. Doch der Film zeigt eindringlich, dass die Unterschiede von gläubigen Menschen - ganz egal welcher Religion sie angehören - ähnlich und überwiegend friedfertig sein können. Der Frevel den die Sowjets seinerzeit mit der Verbrennung aller Heiligtümer und Reliquien begannen haben ist kaum gutzumachen und viel schwerwiegender. Gleichzeitig ruft er Erinnerungen an die Schandtaten der Deutschen an den Juden im Zweiten Weltkrieg wach und wirbt somit um das Verständnis für Vergebung und den Glauben an Gott.
Die neuen Nonnen von Moskau
Freitag, 12.03.2010 um 22:40 - 00:10 Uhr auf Arte
Doku, Deutschland, 2009
Regie: Beate F. Neumann, Kamera: Yolisawa Gärtig
Stereo | 16:9
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