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Filmstarts im Februar 2019, Teil 4

Arthouse-Kinocharts: Oscargewinner "Green Book - Eine besondere Freundschaft" verteidigt die Spitze.



Dass in der letzten Februar-Woche, gleich nach dem Oscar-Sieg von Peter Farrellys "Green Book - Eine besondere Freundschaft", der Film zum Publikumsrenner der Arthouse Kino-Charts avancieren würde und Platz eins belegt, war fast anzunehmen. Der Film setzte sich mit 18.000 verkauften Tickets auch an die Spitze der sonstigen Kinocharts des HDF-Kino.

Bei unseren letzten Filmkritiken am 24. Februar 2019 entschuldigten wir uns, die Rezension zu Joel Edgertons "Der verlorene Sohn" leider verschieben zu müssen. Wir wollen dies heute nachholen. Mittlerweile ist der Neustart von letzter Woche immerhin auf Platz fünf der Arthouse Kinocharts angelangt. Zweiter von uns besprochener Neustart war "Vice - Der zweite Mann", der zuletzt Platz zwei belegte.

Von der Zwei auf die Vier abgerutscht ist Caroline Links Buchverfilmung "Der Junge muss an die frische Luft" über Hape Kerkelings Jugenderinnerungen. Auf Platz neun schaffte den Sprung in die Top Ten der deutschen Arthouse-Kinocharts Marielle Hellers "Can You Ever Forgive Me?", den wir ebenfalls letztes Mal besprochen hatten. Die Plätze 6-8 belegen Filme, die schon länger auf unseren Leinwänden in Berlin zu sehen sind.

In anderen Städten sieht das manchmal ganz anders aus. Obwohl eigentlich kein Kinobesitzer mehr im Zeitalter der digitalen Distribution auf Kinokopien warten sollte, zeigt die Praxis eine andere Wirklichkeit, wie uns ein Filmtheaterbesitzer aus einer kleineren Stadt beim Gespräch auf der Berlinale schilderte.

Offensichtlich wollen die Verleiher entweder mit künstlicher Verknappung das Interesse am Markt hochhalten, oder aber sie sparen sich die Kosten für weitere Festplatten-Distribution und warten bis die DCPs von einem Kino zum anderen weitergereicht werden. Dabei gäbe es theoretisch die Möglichkeit die Filme per Standleitung, oder über Satellit zu ordern, um sie ggf. dann auf den eigenen Kinoserver auch ohne Warteliste überspielen zu können. Die Freischaltung erfolgt sowieso getrennt über das Internet mit individuellem Schlüssel.

Zusätzlicher Abspielstau kann natürlich entstehen, wenn Filme besonders gefragt sind, aber nicht genügend Leinwände oder Filmtheater für das nachgefragte Programm in der Provinz oder in kleineren Städten vorhanden sind. Gerade bei den jetzigen Mietsteigerungen kennen Hausbesitzer oft kein Pardon und kündigen auch erfolgreichen Kinotheaterbetreibern, weil sie sich von Handelsketten mehr Einnahmen erhoffen.

Die Top Ten der deutschen Arthouse-Kinocharts vom 27.02.2019:

1. (1) "Green Book - Eine besondere Freundschaft", 4. Woche

2. (NEU) "Vice - Der zweite Mann", 1. Woche

3. (NEU) "Der Goldene Handschuh", 1. Woche

4. (2) "Der Junge muss an die frische Luft", 9. Woche

5. (NEU) "Der verlorene Sohn", 1. Woche

6. (3) "The Favourite - Intrigen und Irrsinn", 5. Woche

7. (4) "Die Frau des Nobelpreisträgers", 8. Woche

8. (5) "Capernaum - Stadt der Hoffnung", 6. Woche

9. (NEU) "Can You Ever Forgive Me?", 1. Woche

10. (8) "The Mule", 4. Woche

Die Arthouse-Kinocharts werden erstellt von ComScore und der AG Kino-Gilde und bilden die Hitliste der Filme nach Besucherzahlen in den Mitgliedskinos des Verbands ab. Ob Fatih Akins Berlinale-Horror-Beitrag "Der Goldene Handschuh" in das Schema Arthouse hineinpasst, bezweifeln wir allerdings.

An diesem Donnerstag startete „Ein königlicher Tausch“, der am Wochenende die aktuellen Charts höchstwahrscheinlich ein wenig verändern wird. Gewaltige Verschiebungen dürfte es aber nicht geben, da außerdem nur noch das chinesische Drama "Asche ist reines Weiß" in den Arthouse-Kinos angelaufen ist.

Der von uns erst gar nicht beachtete Sony Thriller "Escape Room" sowie der Action-Triller "Hard Powder" mit Liam Neeson laufen dagegen in den Mainstream Kinos im Umfeld sonstiger Blockbuster an.

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"Der verlorene Sohn" Schwulen-Drama von Joel Edgerton (USA). Mit Lucas Hedges, Nicole Kidman, Russell Crowe u.a. seit 21. Februar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Es ist schier unglaublich, dass es im Jahr 2019 immer noch Menschen gibt, die davon überzeugt sind, dass man Homosexualität heilen kann. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland erdreisten sich irgendwelche Therapeuten, dass ihnen das gelingt. Man spricht in dem Zusammenhang von einer Konversionstherapie. Was für ein Wort!.

Hinzu kommt, dass viele Kirchen - besonders in den USA - Homosexuelle und Lesben als Kranke ansehen, die sich mit ihrer praktizierenden Sexualität versündigen. Gott sei Dank, schafft man diese Umerziehungslager langsam ab aber leider gibt es noch immer zu viele davon.

Der 19-jährige Jared (Lucas Hedges) wird von seinen stark religiösen Eltern, der Vater ein Autohändler und Baptistenprediger (Russell Crowe), die Mutter Hausfrau und Ehefrau (Nicole Kidman) in ein religiöses Umerziehungsprogramm geschickt, nachdem ihr Sohn mehr unfreiwillig gestanden hat, dass er schwul ist. Geleitet wird das Camp, was einem Gefängnis gleicht, von einem selbsternannten Therapeuten Victor Sykes (Joel Edergton), der auch gleichzeitig in diesem Drama „Der Verlorene Sohn“ die Regie führte und das Drehbuch schrieb.

Das Umerziehungscamp trägt auch noch den perfiden Namen „Love in Action“.

Anfangs hält sich Jared, der von seiner Mutter begleitet wird, nur für einige Stunden dort auf. Gegen Abend kehrt er zurück zu ihr ins Hotel. Mit ihm nehmen eine Lesbe und etwa 12 Schwule an den Zwangsmaßnahmen teil. Ziel: Sie auf den christlichen Pfad der Tugend zurückzubringen, unter dem Motto: „Pray the gay away“.

„Herzlich Willkommen bei dem Erneuerungsprogramm“. Für Jared, der zu strengem Gehorsam erzogen wurde, beginnt eine Tortur. Das Harmloseste ist noch das Verbot des Beine-Übereinanderschlagens. Sogar der Gang zur Toilette wird von einem Aufseher begleitet. Ständige Schuldzuweisungen und Demütigungen stehen auf der Tagesordnung. Die Teilnehmer müssen eine Liste anfertigen, in der sie die Sünden ihrer Familienmitglieder notieren sollen, als da wären Alkohol, eventuelle Spielsucht, das Ansehen von Pornofilmen und natürlich Homosexualität. Das Sportprogramm läuft unter der Prämisse: Durch Schein zum Sein und soll richtige Männer aus ihnen machen.

Allgegenwärtig die Drohung eines strafenden Herrgotts. Jareds Mitstreiter fügen sich entweder aus Verzweiflung oder Kalkül. Rebellion zeigt Niemand. Sie alle beugen sich dieser ungeheuerlichen moralischen Inventur.

Nicht einmal dann, als Sykes einige Kirchenherren zu Hilfe ruft, um dem dicklichen, sanften Cameron Schläge mit der Bibel in der Hand zu verpassen, um ihm seine Schwulität, ähnlich einem Exorzismus, auszutreiben. Erfolglos, denn Cameron (Britton Sear) begeht Selbstmord.

Irgendwann hält Jared es nicht mehr aus. Dank des plötzlichen Sinneswandel seiner Mutter, die tränenreich an seiner Seite steht, verlässt er diesen „kriminellen“ Ort.

Dem Film zugrunde liegt das Buch „Boy Erased“ des New Yorker Autors und Aktivisten Garrard Conley, der als Jugendlicher eines dieser christlichen Umerziehungslager erdulden musste.

Fraglos ein wichtiger Film, dessen weichgespültes Ende etwas zu harmlos daher kommt. Für mich fehlte die Auseinandersetzung zwischen den Eltern, als der strenge Vater den Sinneswandel seiner Frau erlebte. Ein Zeitraum von vier Jahren lag zwischen der Einsicht des Vaters und der Aussöhnung mit dem Sohn, der inzwischen mit seinem Ehemann als Schriftsteller in New York lebt. Wie gestaltete sich diese Zeit? Diese für mich wichtige familiäre Frage bleibt unbeantwortet.

In 36 Bundesstaaten sind diese abscheulichen Camps noch erlaubt. Eine Schande ist das.

Ulrike Schirm


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"EIN KÖNIGLICHER TAUSCH" Historien-Drama von Marc Dugain (Frankreich, Belgien). Mit Lambert Wilson, Igor van Dessel, Anamaria Vartolomei, Juliane Lepoureau, Olivier Gourmet u.a. seit 28. Februar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„Ein königlicher Tausch“ erzählt von der Unfreiheit junger Thronfolger, die im 18. Jahrhundert zu Schachfiguren eines gnadenlosen Machtspiels zwischen Frankreich und Spanien wurden. Eine Doppelhochzeit zwischen den verfeindeten Königshäusern soll für Frieden sorgen. Angezettelt wurde dieser „Friedensakt“ 1721 vom Herzog von Orléans.

Zwei Prinzessinnen mussten quasi über Kreuz den jeweiligen Thronfolger des anderen Landes ehelichen. Seine eigene Tochter, die 12-jährige Louise Elisabeth verschacherte er an den spanischen Thronfolger, den 14-jährigen Don Luis, dessen Schwester, die 4-jährige Infantin Maria Anna Victoria soll im Gegenzug die Frau seines 11-jährigen Neffen Ludwig XV. werden. An der Grenze zwischen den beiden Ländern kommt es zum Tausch der Kinder. Obwohl ein exakt durchkomponiertes Hofzeremoniell den Austausch begleitet, hat man das Gefühl einem Geisel-Austausch beizuwohnen. Besonders herzzerreißend das Spiel der kleinen Juliane Lepoureau, die die Infantin spielt. Regisseur Marc Dugain schildert die Schicksale der vier Kinder mit größter Empathie.

Ludwig, der überhaupt keine Ahnung hat, wie man ein Land regiert, verzweifelt an dieser Aufgabe. Der in der Pubertät befindliche Luis ist völlig hilflos, denn Louise Elisabeth rebelliert heftig gegen alles, was von ihr verlangt wird. Mit Luis das Bett zu teilen, hat sie auch keine Lust.

Die kleine Maria nimmt ihr Schicksal tapfer an und fügt sich den Gegebenheiten. Die schwere Last, die diese vier Kinder auf ihren Schultern tragen, spiegelt sich in ihren Gesichtern wieder, auf denen die Kamera besonders lange verweilt. Angst, Einsamkeit und Unvermögen.

Der Film ist opulent ausgestattet und stilvoll in Szene gesetzt und trotz aller Wehmut, enthält er auch komische Momente. Besonders traurig, die damals grassierende Pest – Epidemie, die den Beteiligten nur eine geringe Lebenserwartung beschert. „Wer den Tod fürchtet, vergisst zu leben“ sagt Louise, die Prinzessin wider Willen.

Nicht nur, dass eine Prinzessin alle Kleidungsstücke ihres Herkunftslandes ablegen muss, sieht man in uns nur Fleisch zum Verheiraten, obwohl wir Prinzessinnen sind, sagt Louise an einer anderen Stelle.

Ulrike Schirm


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"THE HATE U GIVE" Drama von George Tillman Jr. (USA). Mit Amandla Stenberg, Regina Hall, Russell Hornsby u.a. seit 28. Februar 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Angie Thomas Debüt-Roman „The Hate U Give“ erzählt die berührende Geschichte der 16-jährigen Starr, die mit ansehen muss, wie ihr unbewaffneter Freund Khalil von einem Polizisten bei einer Routinekontrolle erschossen wird. Ihr Manuskript wurde zuvor von 150 Agenten abgelehnt. Seit dem Erscheinen vor etwa zwei Jahren, erntete sie einen großartigen Erfolg. Ihr Buch hat sich weltweit mehr als zwei Millionen mal verkauft, stand 100 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“, erhielt unzählige Auszeichnungen, unter anderen, den Deutschen Jugendbuchpreis.

Gerade ist ein Nachfolgeband auf Deutsch erschienen, unter dem Titel „On the ComeUp“. In beiden Bänden gibt sie der schwarzen Jugend eine Stimme.

Der Film, der den gleichen Titel trägt, zeigt auf spannende und mitreißende Weise, das Rassismus-Elend, in dem der 16-jährige Teenager lebt.

Starr war 9, als ihr Vater ihr das erste Mal eindringlich erklärte, wie sie sich zu verhalten habe, wenn sie in eine Polizeikontrolle kommt. „Als Afro-Amerikanerin, musst du immer damit rechnen, eine Bedrohung für die Weißen darzustellen“.

Starr lebt mit ihrer Familie, ihrem Vater Maverick, der genau weiß, wovon er redet, denn er sass bereits im Knast, ihrer Mutter Lisa, ihrem älteren Halbbruder Seven und dem einjährigen Sekani, in einem fast ausschließlich von Schwarzen bewohnten Viertel. Die Kriminalitätsrate ist hoch. Keine Party, auf der nicht rumgeballert wird.

Starr geht auf eine Privatschule, die überwiegend von Weißen besucht wird. Ihre Eltern haben es nicht geschafft, das Ghetto zu verlassen, also soll wenigsten Starr es einmal besser haben. Sie verhält sich so unauffällig wie möglich. Das sie aus einem Vorort kommt, in dem die Bandenkriminalität zum Alltag gehört, versucht sie zu verschweigen.

Als ihr bester Freund in ihrem Beisein bei einer Fahrzeugkontrolle von einem Polizisten erschossen wird, gerät ihr Leben, zwischen den zwei ungleichen Welten aus den Fugen. Der Tod des unschuldigen Jungen führt zu Ausschreitungen der schwarzen Bevölkerung. Starr, die einzige Zeugin des ungeheuerlichen Vorfalls, steht vor einer schwierigen Entscheidung. Soll sie schweigen, um ihre Zukunft nicht zu gefährden oder soll sie laut werden und ihre Stimme gegen die ungerechte Tat erheben. Auch bei ihren weißen Freundinnen bemerkt sie plötzlich rassistische Vorurteile.

Wie schon in der literarischen Vorlage, richtet sich auch der Film an ein jugendliches Publikum. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der jungen Starr, bewegend gespielt von Amandla Sternberg („Du neben mir“), der es großartig gelingt, ihre Ambivalenz zwischen Schwarz und Weiß zum Ausdruck zu bringen. Deutlich wird gezeigt, was die Auswirkung von Rassismus mit Jugendlichen und Kindern macht, wie sie leiden und ihr Leid von Generation zu Generation weitergetragen wird. Regisseur George Tillmann Jr. hat sich für eine ruhige und gelassene Erzählweise entschieden.

Das Leitmotiv des Teenagerdramas stammt von dem Satz des Rappers Tupac Shakur „The hate u give little infants, fucks everybody“. (Der Hass, den du an die Kinder weitergibst, versaut alle.)

Ein besonderer Einfall Tillmanns ist die Lichtveränderung, die er für die zwei verschiedenen Welten wählt. Starrs Viertel ist in warme dunklere Töne getaucht, die Gegend der Wohlhabenden, in der ihre Schule steht, in kühle, bläuliche Töne. Am Ende gibt es einen Hoffnungsschimmer.

Ulrike Schirm











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