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Aktuelle Filmkritiken und Wiederholungen von Berlinale Gewinnerfilmen im Open-Air-Kino

Deutscher Kinomarkt wieder im Aufschwung mit Filmkritiken zu Filmstarts Mitte Juli 2017



Laut Marketinginstitut ComScore sollen die Ticketverkäufe in den deutschen Kinos wieder gestiegen sein. Nach einem schlechten Ergebnis in 2016 hofft man die bisher besten Umsatzzahlen der letzten sechs Jahre in 2015 sogar noch übertreffen zu können. Der Aufschwung mag sowohl an populären, familientauglichen Animationsfilmen wie "Ich - Einfach unverbesserlich 3" zusammen mit den "Minions" liegen, vielleicht aber auch ein wenig am regnerischen Wetter, bei dem das Publikum nach Freizeitalternativen im Kino sucht. Als relativ konstant haben sich dagegen bundesweit die Besucherzahlen bei der Open-Air-Kinos über die Jahre erwiesen, wie die Statistiker herausgefunden haben.

Neben US-Blockbustern und einigen gut laufenden deutschen Komödien, drängen auch immer mehr französische Werke auf den deutschen Markt und buhlen um die Gunst des Publikums. Leider leidet bei dem Überangebot aber oft die Qualität.

"Das unerwartete Glueck der Familie Payan" von Nadí¨ge Loiseau. Mit Karin Viard, Philippe Rebbot, Hélí¨ne Vincent u.a. ab 20. Juli 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Die ersten Schritte eines Kindes, die Einschulung, der Schulabschluss, diese Momente sind Eckpunkte im Leben einer Mutter, die sie im Herzen aufbewahren kann. Nicole (Karin Viard) hat keine Erinnerungen dieser Art. Selbst die Geburt von Vincent, ihrem Erstgeborenen, hatte sie verpasst, weil sie in Narkose lag. Es beginnt mit einer weiteren verpassten Gelegenheit. Der Sohn tritt seinen Job als Koch auf einem U-Boot an und sie verpasst die feierliche Abfahrt, weil ihr unzuverlässiger, arbeitsloser Ehemann nie pünktlich sein kann. Zugegeben, der hatte auch nie Glück in seinem Leben gehabt. Jean-Pierre (Philippe Rebbot) galt einst als Hoffnungsträger des nationalen Leichtathletiksports. Doch wann immer er ein wichtiges Turnier hatte, kam ihm etwas dazwischen. Die Geburt des Sohnes zum Beispiel.

Nadí¨ge Loiseau bestückt ihre Mehrgenerationenkomödie mit liebenswürdigen Figuren, die ein ganz klein wenig nerven. Oder auch ganz gewaltig nerven. Je nachdem. Man nimmt es ihnen nicht übel, man schüttelt nur den Kopf und seufzt einmal, zweimal, mehrmals tief. So wie Nicole, die den Laden schmeißen muss, für das Einkommen sorgen darf und die sich nun mit den Unannehmlichkeiten der Menopause konfrontiert sieht. Doch weit gefehlt. Es stellt sich heraus, sie ist schwanger. Alles auf Anfang. Mit knapp 50. Hier darf man einflechten, dass das etwas wackelige Drehbuch mit Altersangaben jongliert, die so gar nicht zusammenpassen. Also, aufgepasst! Einfach weghören, wenn die Mitglieder dieser Familie ihr Alter nennen. Die magische 50 soll nicht überschritten werden, vielleicht ist das eine Vorgabe für eine imaginierte Zielgruppe, vielleicht wollte das Produktionsteam auch einfach Karin Viard eine Rolle geben, die zu ihrem wahren Alter passt und somit aussagt, dass es durchaus spannende Frauenrollen jenseits der 40 gibt.

Zur Handlung tragen Überlegungen wie diese nicht bei. Ein Kind ist also unterwegs und Nicole liegt bereits jenseits der Abtreibungsfrist. Ihr Frauenarzt gewährt ihr mit etwas Trickserei zwei Tage Bedenkzeit. Das Drehbuch schenkt ihr sogar die Option in die Niederlande zu fahren, wo man auch fortgeschrittenere Schwangerschaften terminieren kann. Da es sich aber um eine Komödie handelt, weiß das Publikum, dass mit der Möglichkeit gespielt, diese aber nie umgesetzt werden wird. Das wäre ein anderer Film, ein anderes Genre. Es schimmert ein klein wenig “Mein Körper gehört mir” durch, es fehlt nur jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema. Dafür aber setzt es den Vater mit ins Bild, der erst eine Mitschuld von sich weist. Das tut er halbherzig, das Drehbuchteam Nadí¨ge Loiseau, Fanny Burdino und Mazarine Pingeot zwinkert seinem Publikum dabei jovial zu. Später wird er seinen Unwillen noch einmal Vater zu werden prominent in den Raum stellen. Natürlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt, womit er den dritten Akt einläuten wird.

Damit die Handlung überhaupt etwas Spannung bekommt, wird Nicole Ruhe verschrieben und ein Blutdruckmesser ans Handgelenk gelegt. Wehe, sie regt sich auf. Wehe, jemand regt sie auf. Und natürlich passiert genau das. Geschmeidig greifen die Defekte jedes einzelnen Familienmitgliedes und engen Freundeskreises ineinander, um konstant für Chaos zu sorgen. Ohne jemals die Wurzel anzugehen. Originell ist der Film nicht, Wendungen ahnt man weit voraus. Man spürt jedoch den guten Willen zur Komödie, so dass man die Mätzchen erträgt.

Loiseau hatte zuerst einen Kurzfilm mit einem ähnlichen Titel gedreht: “Le locateire”, auf diesen baut sie jetzt auf. Doch zu viele Handlungsstränge auf Spielfilmlänge machen den Stoff nicht runder. Die Beziehung der Figuren untereinander wird für den einen oder anderen Gag vernachlässigt. Die Stärken des Stoffs dagegen, die Auseinandersetzung mit der Mutterschaft in all ihren Ausführungen, und in der Komödie sind es drei Varianten, bleiben zu sehr an der Oberfläche.

Die Komödie wird überwiegend von Karin Viard getragen. Ihre Nicole ist energisch, wenn es darum geht, den Haushalt zu schmeißen, melancholisch, wenn sie über die Wiese wandert, voller Zweifel, wenn ihr alles zu entgleiten droht, und auch verzweifelt, als ihre Mutter ihr keine Last mehr sein mag. In einer starken und so treffend beobachteten Szene kümmert sich Nicole um Omilein, die in eine so demütigende Situation geraten war. Kurz geht sie in das Nebenzimmer, um dort heimlich zu weinen. Die Kamera zeigt die zwei Räume nebeneinander. Beide Frauen weinen, es vor dem anderen versteckend, weil sie gar nicht anders können.

Omilein, wie sie alle liebevoll nennen, ist der Anker und der Ruhepol in der chaotischen Familie und Hélí¨ne Vincent, die sie spielt, gibt der kranken Frau, die auf Hilfe und einen Rollstuhl angewiesen ist, Würde und einen Schalk, der sie zu einer wahren Szenediebin werden lässt. Recht spät erfährt der Zuschauer etwas mehr über sie, praktisch nur nebenbei. Das ist schade, denn dieser Hintergrund hätte so viel Potential hergegeben und lässt nun viele Fragen offen. Zum Beispiel die Frage, warum diese Familie so chaotisch ist, wie sie ist. Die Liebe, die sie für jeden empfindet, wechselseitig übrigens, alle lieben Omilein vorbehaltlos, bewegt über die Leinwand hinaus.

Elisabeth Nagy


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"Paris kann warten" von Eleanor Coppola.
Komödie mit Diane Lane, Arnaud Viard, Alec Baldwin u.a. seit 13. Juli 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Zu den besseren französischen Komödien, im Stil eines anspruchsvollen Arthaus-Films, lässt sich dieses autobiografische Erlebnis der 1936 geborenen Dokumentarfilm-Regisseurin Eleanor Coppola zählen, die übrigens mit dem großen Regisseur Francis Ford Coppola verheiratet ist.

Ulrikes Filmkritik:

2009 besuchte Eleanor Coppola mit ihrem Mann Francis Ford das Filmfestival von Cannes. Wegen einer Erkältung entschloss sie sich, ihren Mann nicht auf dem Flug nach Budapest zu begleiten. Dankbar nahm sie das Angebot eines Geschäftspartners ihres Mannes an, sie in seinem Auto nach Paris mitzunehmen. Aus einer ursprünglich sieben Stunden dauernden Autofahrt, wurde ein dreitägiger amüsanter Road-Trip mit kulinarischen Köstlichkeiten. Voller Stolz ließ sich der charmante Vorzeigefranzose es sich nicht nehmen, seiner Beifahrerin die Schönheiten seines Landes zu zeigen. Als die über achtzigjährige Coppola ihren Freunden von der Fahrt berichtete, waren alle der Meinung, sie müsse daraus einen Film machen. Sie staunte nicht schlecht über sich, als sie das Drehbuch schrieb und selbst die Regie übernahm.

Aus Eleanor und Francis Ford werden Diane Lane und Alec Baldwin”¦ Diane Lane spielt Anne, die Ehefrau eines Filmproduzenten (Alec Baldwin) der wahnsinnig gestresst ist, seiner Frau kaum zuhört und die aufgrund einer Ohrentzündung davon absieht, ihren Mann von Cannes nach Budapest zu begleiten. Man hat den Eindruck, das Angebot von Jaques (Arnaud Viard) mit ihm in seinem Cabrio nach Paris vorauszufahren, um ihren Mann dann später in Paris zu treffen, kommt ihr gerade recht. Eine kleine Ehepause kann nicht schaden.

Jaques lässt seinen ganzen Charme spielen. Er überhäuft Anne mit Komplimenten, die sie so schon lange nicht mehr gehört hat. Er lässt die herrlichsten Köstlichkeiten auftischen und zeigt ihr die landschaftlichen Vorzüge seiner Heimat. Doch hinter all dem Charme verbirgt sich ein kleiner Schwerenöter, so dass sich Anne zwischendurch fragt, ob sie überhaupt noch heil nach Paris kommt. „Paris kann warten“ ist eine leichte sommerliche Komödie, voller Lebenslust und romantischem Geplänkel, die Lust auf eine heiter unangestrengte Landpartie im Cabrio macht. Am besten zu genießen in einem Freilichtkino, an einem warmen Sommerabend mit einem Picknickkorb voller herrlicher Delikatessen und einem eisgekühlten Glas Weißwein. So wird daraus ein sinnliches Vergnügen.

Ulrike Schirm


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"Spider-Man: Homecoming" von Jon Watts.
Mit Tom Holland, Michael Keaton, Robert Downey Jr. u.a. seit 12. Juli 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Einen Rückwärtssalto aus dem Stand ohne Anlauf und anderen Hilfsmittel hinzulegen, dass dürften wohl nur Wenige können. Doch genau das exerziert uns der 21jährige britische Darsteller Tom Holland alias Peter Parker als Spider-Man am Anfang des Films vor. Zunächst muss sich der Teenager in "Spider-Man: Homecoming" ohne irgendwelche magischen Hilfsmittel des Marvel Imperiums als durchaus glaubwürdiger 15-jähriger Schüler an einer US-Highschool bewähren. Mit einem durchtrainierten nackten Oberkörper, den uns der junge Mann beim Umziehen in sein Spiderman Outfit präsentiert, erweisen sich auch seine späteren Kunststücke auf der Leinwand als ziemlich glaubwürdig. Dadurch unterscheidet sich das Sequel auch von anderen Hollywood Filmen, die immer noch eins draufzusetzen versuchen und damit immer unglaubwürdiger werden.

Um unseren Lesern einen Eindruck von den waghalsigen, aber real existierenden akrobatischen Geschick der Läufer eines Freerunning Parkours zu verschaffen, haben wir hier einen Clip als Beispiel eingebunden:



Unsere Filmkritik:

Etwas Ähnliches führt uns auch Tom Holland zu Beginn des Spiderman-Films vor. Erst mit dem Anlegen seines Spiderman-Kostüms driften die Kunststücke in die Magie des Kinos ab, ohne aber gänzlich abzuheben. Der sympathische Jungheld, der schon mit neun Jahren zu tanzen anfing und seine enorme Agiliät im Trainingsprogramm der Avengers-Truppe beweisen konnte, hat obendrein schon den »Young Artist Award« gewonnen.

Erfreulicherweise muss er auch nicht gleich die ganze Welt retten, sondern folgt aus eigenem Instinkt nur einem skrupellosen Gangster (Michael Keaton) in seiner Heimatstadt New York, dem er das Handwerk legen will. Michael Keaton hatte 2014 in "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)" ein erstaunliches Comeback als Schauspieler mit übergroßen Vogelschwingen gehabt.

Kein Wunder, dass Regisseur Jon Watts auf diesen Darsteller zurück griff, um ihm als Vogelmann "Vulture" diesmal nahezu unverwüstliche Hightech-Metallschwingen zu verpassen, womit er unbesiegbar sein sollte. Doch die eindringlichste Konfrontation zwischen den Beiden ist keine Kampfszene, sondern ein bedrohlich wirkendes Gespräch im Auto, wodurch der Film wieder sehr realitätsnah wirkt. Eine gewisse Tollpatschigkeit und Unerfahrenheit ist der Figur des jungen Peter Parker zwar nicht abzusprechen, doch das wurde mit Ironie und Witz umgesetzt, sodass es daran wenig zu beanstanden gibt, sondern eher menschlich ist.

Darüber hinaus wurde der Film hervorragend in 3D umgesetzt und es klingelt wieder mächtig in den Kinokassen, wobei auch Sony den zweitbesten Studiostart überhaupt in den Vereinigten Staaten feiern kann. Vorausgesetzt die Wiedergabetechnik stimmt, wird aus den 134 Minuten ein kurzweiliger Kinoabend, bei dem man sich gut amüsieren kann. Später wird der Film leider nicht im 3D-Format auf Blu-ray oder DVD erscheinen. Geplant ist zwar eine Veröffentlichung auf Ultra-HD-Disc für moderne 4K-Flachbildschirme, doch darin ist wegen der enorm großen Datenmenge der hochauflösenden Bilder kein Platz mehr für die dritte Dimension vorgesehen. Die technischen Spezifikationen der neuen UHD-Disc lassen dies nicht mehr für das Heimkino zu. Deswegen sollte man sich den Film jetzt im Kino ansehen.

W.F.


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Sommer Berlinale im Radio Eins Freiluftkino Friedrichshain.

Vom 20. bis 23. Juli 2017 haben Kinobegeisterte die Möglichkeit, Publikumslieblinge und Gewinnerfilme aus den Sektionen Wettbewerb, Panorama, Forum und Generation der 67. Berlinale noch einmal zu sehen: unter freiem Himmel und vor deutschem Kinostart.

Donnerstag, 20. Juli, 21:30 Uhr
"On Body and Soul", Regie: Ildikó Enyedi, Ungarn 2017, 116 Min., Ungarisch mit dt. UT, Wettbewerb (Gewinner des Goldenen Bären).
In Anwesenheit der Regisseurin Ildikó Enyedi, vorgestellt von Anke Leweke und Knut Elstermann.
Mehr zum Film unter: On Body and Soul

Freitag, 21. Juli, 21:30 Uhr
"God’s Own Country", Regie: Francis Lee, Großbritannien 2017, 104 Min., Englisch mit dt. UT, Panorama.
Präsentiert von Michael Stütz (Programm-Manager Sektion Panorama).
Mehr zum Film unter: God’s Own Country

Samstag, 22. Juli, 21:30 Uhr
"Casting", Regie: Nicolas Wackerbarth, Deutschland 2017, 91 Min., Deutsch, Forum.
In Anwesenheit des Regisseurs Nicolas Wackerbarth, präsentiert von Christoph Terhechte (Sektionsleiter Forum).
Mehr zum Film unter: Casting

Sonntag, 23. Juli, 21:30 Uhr
"Weirdos", Regie: Bruce McDonald, Kanada 2016, 84 Min., Englische OV, Generation.
Präsentiert von Maryanne Redpath (Sektionsleiterin Generation).
Mehr zum Film unter: Weirdos

Weitere Informationen unter: www.freiluftkino-berlin.de



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