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Filme im Bundesarchiv vom Verfall bedroht

Petition zum Deutschen Film-Erbe.



In zahlreichen Filmdosen des Bundesfilmarchivs lauert Gefahr. Nicht nur die alten leicht entzündbaren Nitrofilme bereiten den Archivaren des ehemaligen DEFA-Filmlagers Sorge, auch in anderen - von außen durch Metalldosen scheinbar gut geschützten Behältern - können durch chemischen Verfall giftige Gase entstehen, sodass diese Filme für alle Zeiten unrettbar verloren gehen könnten.
"Unser nationales Filmerbe muss dauerhaft gesichert und auch im digitalen Zeitalter sichtbar bleiben", heißt es im neuen Koalitionsvertrag, der unlängst vorgestellt wurde. "Die Koalition wird auch das Bundesarchiv personell und finanziell stärken."

Doch um dieser Absichtserklärung auch Taten folgen zu lassen bedarf es weitaus mehr Anstrengungen als bisher. Bereits im März 2013 gab es bei der Deutschen Kinemathek in Berlin ein Expertengespräch zum deutschen Filmerbe. Wie wir im BAF-Blog vom 17. März 2013 berichteten, ging es dabei vornehmlich um die Sicherung und Digitalisierung des Filmerbes, denn die Haltbarkeit von DVD's, Blu-rays oder Festplatten galt bis dato als zu unsicher, um Langzeitprognosen erstellen zu können. Alle paar Jahre sollte das Material deshalb umkopiert werden, um mit neuen Abspielnormen kompatibel und weiter lesbar zu bleiben.

Gut archiviertes Filmmaterial, das in klimatisierten Räumen gelagert wird, soll angeblich bis zu 700 Jahre unbeschadet überstehen können, hieß es schon vor Jahren bei einem anderen Symposium, über das wir am 17.07.2008 hier berichteten. So lange hält keine Festplatte durch. Doch die Langzeitprognose trifft nur auf farbsepariertes Filmmaterial zu, dass in drei SW-Nagativauszügen gelagert wird. Bei den in Dosen archivierten Farbfilmen der 60er Jahre setzte oft schon nach kurzer Zeit ein Farbstich ein und zum Erschrecken der Archivare bald auch ein Verfall, der durch chemische Prozesse ausgelöst wird. Manchmal befinden sich dann statt eines Films, nur noch Pulverreste in der Dose. Jede unsachgemäße Lagerung verkürzt nämlich die Lebensdauer des Materials.

Schon 2009 hatte Martin Koerber, Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek, auf den Verfall hingewiesen, denn auch unter Amateuraufnahmen, die sich in Privatbesitz befinden können cineastische Schätze sein, wie wir damals am 16. Oktober 2009 schrieben. Außerdem wird leider nicht alles im Bundesarchiv gelagert. Manchmal stellen die Verleiher nur eine DVD dem Archiv zur Verfügung, obwohl für eine Auswertung späterer Generationen immer ein Originalnegativ vorhanden sein sollte, selbst wenn davon schon eine digitale Abtastung existiert. Bei einer Insolvenz betreffender Firmen käme nämlich das Filmgut ebenfalls unter den Hammer und geht dann oft für alle Zeiten verschollen.

Der Trickfilmveteran und Filmhistoriker Prof. Helmut Herbst beklagt deshalb zusammen mit den Historikern Jeanpaul Goergen und Prof. Dr. Klaus Kreimeier in einem Manifest die katastrophalen Zustände im Bundesarchiv, wo Hunderttausende Rollen deutscher Filmwerke lagern.
"Wenn die Politik den grassierenden chemischen Zerfall unseres filmischen Erbes weiter ignoriert", so der emeritierte Offenbacher Professor, "müssen wir in den kommenden Jahren mit dem Verlust der meisten Filme rechnen."

Inzwischen wurden insgesamt 260.000 Schwarz-Weiß- und 360.000 Farbfilmrollen aus dem Bundesarchiv in Berlin-Wilhelmshagen in ein Aktenarchiv in Hoppegarten umquartiert, weil gefährliche Naphthalin-Dämpfe in den alten Gemäuern des ehemaligen DEFA-Archivs festgestellt wurden, die unter den Mitarbeitern Kopfschmerzen und Übelkeit verursachten. Doch ein Aktenarchiv ist kein Filmarchiv, das über besondere klimatische Bedingungen verfügt. Außerdem gab es durch den gestiegenen Grundwasserspiegel in Berlin plötzlich einen Wassereinbruch in den Filmbunkern in Berlin-Hoppegarten. Bis durch einen Neubau die Gefahr gebannt ist, muss das alte Filmmaterial wohl nochmals in nicht optimale Zwischenlager überführt werden. Dabei wurde ein seit den Neunzigerjahren geplanter Bau eines zentralen Filmarchivs wegen Unklarheiten über die Folgekosten bisher nie begonnen.

In Frankreich dagegen wurden für einen Zeitraum von sechs Jahren immerhin 400 Millionen Euro in den Erhalt des Filmerbes investiert, während der entsprechende Jahresetat des Bundesarchivs nur ganze zwei Millionen beträgt. Offensichtlich fehlen in Deutschland Strategien für sachgerechte Rettungsmaßnahmen.

Das Filmerbe ist eine nationale Aufgabe.
Der akute Notstand betrifft sogar die neueren Materialien, nämlich das deutsche Filmerbe der Nachkriegszeit – Wochenschauen, Spielfilme, Kurzfilme und Dokumentationen. Schon dafür ist der Finanzaufwand hoch:
"Um den drohenden Untergang unserer Bestände abzuwenden, werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts Investitionen von etwa 500 Millionen Euro benötigt", heißt es nun in einer Petition von Filmwissenschaftlern, Regisseuren und Publizisten. "Wir fordern eine Initiative zur Digitalisierung der gefährdeten Filmbestände auf Bundesebene. Von der zukünftigen Bundesregierung erwarten wir eine sichere und substanzielle Finanzierung. Die Bewahrung unseres Filmerbes ist eine nationale Aufgabe"

Der Aufruf, für den schon mehr als 1800 Unterschriften auf change.org vorliegen, ist inzwischen als Petition an den Staatsminister für Kultur im Kanzleramt gegangen und auf folgender Seite zu finden:
Link: www.change.org/de/Petitionen/unser-filmerbe-ist-in-gefahr. Der Brief wurde auch an Zeitungs- und Rundfunkredaktionen geschickt. Eine eigene Website wird folgen. Auf folgender Bundestags-Seite (vom 28.11.2013) kann man ganz gut sehen, wie das Problem der Filmarchivierung und -digitalisierung zur Zeit im Spektrum der politischen Parteien gesehen wird: www.bundestag.de/presse/hib/2012_11/2012_556/03.html

PETITION nachfolgend in der erweiterten Ansicht.
Auch wir haben das Papier nachfolgend in der erweiterten Ansicht eingestellt. Wer die Petition unterstützen möchte, kann sich per Mail an den Medienwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Kreimeier wenden oder bis zum 13. Januar 2014 direkt beim Deutschen Bundestag unter der Petition 47385 unterschreiben sowie hier unter Change.org. Bitte geben Sie neben ihrem vollem Namen, ihre Adresse, ihre Berufsbezeichnung oder Ausbildung an sowie ihre Funktion in der Filmwirtschaft.

Mail an: klauskreimeier@netscape.net
Prof. Dr. Klaus Kreimeier, Berlin
Weitere Infos unter: filmerbe.org oder filmerbe-in-gefahr.de

Quellen: Deutsche Kinemathek | Artikel in der Welt von Daniel Kothenschulte


P E T I T I O N


Unser Film-Erbe ist in Gefahr!

Wenn die Politik den fortschreitenden chemischen Zerfall unseres Filmbestandes weiter ignoriert, müssen wir in den kommenden Jahren mit dem Verlust der meisten Filme aus den letzten hundert Jahren rechnen. Die kostbaren analogen Original-Negative und Unikate unseres Film-Erbes zerfallen lautlos, ohne Aufsehen zu erregen, ohne ein neues Leben zu erhalten und unter behördlicher „Aufsicht“. Im „Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks“ (Walter Benjamin) ist ausgerechnet die Filmkunst davon bedroht, dass der größte Teil ihres Bestandes nicht mehr reproduziert werden kann und stirbt.

Am meisten Sorgen bereiten den Filmarchiven neben den leicht entflammbaren Nitro-Filmen auf Zelluloid aus den ersten fünfzig Jahren der Filmgeschichte jene Werke, die seit den fünfziger Jahren auf dem sogenannten Safety-Material Azetat aufgenommen wurden: Kinofilme, 8- und 16mm-Filme, Fotonegative, Magnet- und Mikrofilme, ferner alle Negative und deren Kopien in Farbe oder Schwarzweiß. Wenn dieses Material, wie im Normalfall, in einfach klimatisierten Räumen lagert (bei 20 Grad Celsius und 50% Luftfeuchte), hat es eine garantierte Lebenserwartung von nur 44 Jahren. Jenseits dieser vom Image Permanence Institute (Rochester, N.Y.) ermittelten Mindesthaltbarkeit beginnt das unkalkulierbare Risiko.
Das bewegte Bild hat nur ein Leben in seiner fortwährenden Reproduktion. Das ist sein Wesen. Ein einzelnes analoges oder digitales Film-Original ist immer vom Infarkt bedroht, mechanisch, chemisch oder durch Datenverlust. Wir müssen umdenken: Das bewegte Bild zu konservieren, bedeutet seine ununterbrochene Reproduktion auf höchstem technischen Niveau. Nur so besteht eine Gewähr, dass es sich im kulturellen Gedächtnis der Nation verankern kann.

Um die Digitalisierung des Film-Erbes zu meistern, schlagen wir vor, aus dem Verbund der deutschen Kinematheken heraus eine zentrale Koordinierungsstelle zu schaffen. Sie muss das bei den deutschen Filmarchiven vorhandene Fachwissen bündeln, die Digitalisierung vorbereiten und die Konditionen der Auftragsvergabe an die technischen Film- und Fernsehbetriebe aushandeln. Diese gewaltige Aufgabe kann nur von allen deutschen Archiven gemeinsam gestemmt werden. Ohne eine enge Kooperation mit den derzeit noch existierenden Filmkopierwerken und Bildverarbeitungsfirmen ist die anstehende Arbeit nicht zu leisten. Wenn es das dort vorhandene Filmwissen eines Tages nicht mehr geben sollte, hat sich das Problem von selbst erledigt.
Frankreich stellt für die Digitalisierung und Umkopierung seines Film-Erbes in einem Zeitraum von sechs Jahren 400 Millionen Euro bereit. In Deutschland stehen gerade einmal mal zwei Millionen jährlich für ein paar prominente Filmtitel zur Verfügung. Um den drohenden Untergang unserer Bestände abzuwenden, werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts Investitionen von etwa 500 Millionen Euro benötigt.

Wir fordern eine Initiative zur Digitalisierung der gefährdeten Filmbestände auf Bundesebene. Von der zukünftigen Bundesregierung erwarten wir eine sichere und substanzielle Finanzierung. Die Bewahrung unseres Film-Erbes ist eine nationale Aufgabe für die Zukunft. Dieses Erbe muss dauerhaft gesichert werden, um auch im digitalen Zeitalter sichtbar und verfügbar zu bleiben. Der Bund muss daher das Bundesarchiv-Filmarchiv als das zentrale deutsche Filmarchiv sowohl personell als auch finanziell stärken und die Digitalisierung des deutschen Filmerbes durch die Einrichtung eines dauerhaften Fonds fördern. Ob den entsprechenden Zusicherungen im Koalitionsvertrag vom 26. November 2013 Taten folgen werden, wird von uns genau beobachtet werden.

Jeanpaul Goergen (Filmhistoriker), Prof. Helmut Herbst (Filmemacher), Prof. Dr. Klaus Kreimeier (Publizist und Medienwissenschaftler)

Berlin, 26. November 2013

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