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Im Kino: Zwei phantastische Musik-Biopics und ein erstaunlicher Politthriller

Heute in unserer Filmkritik: Drei Werke von großen Filmfestivals.



Wir stellen immer wieder fest, dass die wirklich beachtenswerten Kinofilme ihre Premiere zumeist auf den großen international relevanten Filmfestivals hatten. Alles was sonst die Kinos überschwemmt ist meist unbedeutender Hollywoodklamauk und kaum erwähnenswert, abgesehen von dem "qualitativ, künstlerisch anspruchsvollen, guten Film", der nicht in den Multiplex-Kinos, sondern nur in den kleinen Programmkinos gezeigt wird und oft aus Deutschland, meist aber auch aus ganz Europa kommt. Zwar gelten auch dort romantische Komödien oder der Family-Entertainment-Film als Publikumsgarant, doch zu den künstlerisch wertvollen Filmen können wir diese nicht zählen.

Diesmal also zwei empfehlenswerte Musikfilme, von denen der eine auf dem Tribeca Filmfestival in New York und der andere in Toronto zuerst gezeigt wurde.

Sehr beachtenswert fanden wir auch den dritten Film unserer heutigen Besprechung. Ein sehr komplexer US-Politthriller, der auf der letzten 67. Berlinale im Wettbewerb lief.

"WHITNEY – CAN I BE ME" Doku von Nick Broomfield & Rudi Dolezal. Seit 8. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Die Pressevorführung haben wir vom BAF-Vorstand leider versäumt, um mitreden zu können. Der von uns ausgewählte Trailer des Tribeca Filmfestivals sagt aber über die viel zu früh verstorbene US-amerikanische R&B-, Soul- und Popmusik-Sängerin, Schauspielerin und Filmproduzentin deutlich mehr aus, als der offizielle deutsche Teaser des Arsenal Filmverleihs. Mit 48 Jahren wurde sie 2012 in ihrer Badewanne ertrunken aufgefunden. Kokainmissbrauch und eine Herzkrankheit sollen zum Tod der Sängerin beigetragen haben, von der die Musikzeitschrift Rolling Stone schreibt, sie habe die "beste weibliche Stimme ihrer Zeit" gehabt. Ulrike Schirm hat sich den Film für uns angesehen.

Ulrikes Filmkritik:

Soweit ich mich erinnere, hat Whitney Houston nur drei Konzerte in Berlin gegeben. Nun kehrt sie zurück in dem berührenden Dokumentarfilm „Whitney-Can I be me“. Anschaulich aufgeschlüsselt wird ihr trauriger Weg zum Star anhand von Interviews ihrer zahlreichen Weggefährten. „I always love You“ kann als Hymne ihres Lebens bezeichnet werden. Whitney, die aus einfachen Verhältnissen stammt, war ursprünglich eine leidenschaftliche R&B Sängerin. Aufgebaut wurde sie für das weiße Publikum, massiv vorangetrieben von ihrer Mutter, die sehr wohl von ihrer Drogensucht wusste. Der Weg in eine Entzugsklinik war ihr verbaut, denn zu viele Menschen verdienten an ihr und ein Ausfall hätte erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge gehabt. Ihre Liebe gehörte der schwarzen Robyn Crawford, ihrer Jugendfreundin, späteren Assistentin und vertrauten Wegbegleiterin. Als sie den schwarzen Sänger Bobby Brown kennenlernte und heiratete, reagierte die weiße Geschäftswelt der Produzenten und Management sichtlich erleichtert, denn so konnte man den Gerüchten über ihre Homosexualität einen Riegel vorschieben. Der unbarmherzige Druck der auf ihr lastete und sie zwang ihre Authentizität zu leugnen, trieb sie verstärkt in die Drogensucht. Als Robyn sie verließ, da auch sie den Anfeindungen nicht mehr standhalten konnte, mutmaßt man, dass sie letztlich an gebrochenem Herzen gestorben ist. Nick Broomfield („Kurt & Courtney“) hat sich weniger ihrer Musik gewidmet, sondern sich auf bisher unveröffentlichtes und brisantes Filmmaterial konzentriert, in dem klar erkennbar ist: Whitney Houston wurde zweifelsfrei das Opfer einer unbarmherzigen Showbranche.

Ulrike Schirm


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"BORN TO BE BLUE" Biopic von Robert Budreau:
Seit 8. Juni 2017 im Kino. Hier der "Trailer:



Über diesen Film haben wir uns auf der Pressevorführung geärgert. Nicht weil das in Toronto gezeigte Biopic nicht gut wäre, sondern weil der Film mit schwarzweiß Aufnahmen Authentizität vorspiegelt, die nicht existiert, denn fast alles ist nachgestellt und vieles frei erfunden. Der ansonsten wunderbare Ethan Hawke spielt den heroinabhängigen Trompeter Chet Baker. Ein Ausnahmemusiker, den wir wohl Anfang der 70er Jahre bei den Jazztagen in Berlin zusammen mit Miles Davis in der Philharmonie erleben durften. So hingebungsvoll wie Chet Baker auf unseren alten Vinyl-Schallplatten singt und Trompete spielt, kann es niemand auf der Leinwand ihm nachmachen. Unverständlich warum man das an manchen Stellen dennoch recht eindrucksvolle Biopic nicht wenigstens zum Schluss mit längeren Originalaufnahmen unterlegt hat.

Ulrikes Filmkritik:

Chet Baker, der legendäre Jazztrompeter, wurde 1929 in Yale geboren. Berühmt wurde er mit der Musicalballade „My Funny Valentine“. Da war er 23. Sein früher Erfolg stürzte ihn in eine fatale Heroinabhängigkeit. In „Born to be Blue“ schlüpft Ethan Hawke in die Rolle des „James Dean of Jazz“, der mühsam versucht, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen. Baker galt als bester Jazz-Trompeter der Welt. Es ist das Jahr 1966 und es sieht so aus, als bekäme Baker seine Drogensucht nicht mehr in den Griff. 12 Jahre ist es her, als er als Erfinder des West Coast Swing im legendären New Yorke Birdland auftrat. Das Publikum war außer sich und belohnte ihn mit tosendem Beifall. Miles Davis, der ebenfalls im Club ein- und ausging, sah in ihm einen weißen Konkurrenten, machte seine Musik schlecht und schürte bei Baker enorme Selbstzweifel. Der schmale Grat zwischen Erfolg und eventueller Sich-Selbst-Überschätzung seines Talents, wurde zum Nährboden seiner Drogensucht. Sein Leben war überschattet von Drogenaffären und zeitweiligen Gefängnisaufenthalten. Er wurde immer zerbrechlicher und schwankte zwischen seiner Liebe zur Trompete und dem täglichen Schuss Heroin. Vor einer Bowlinghalle wird er von einer Gruppe brutaler Dealer derartig zusammengeschlagen, wobei er mehrere Zähne verliert. Zäh kämpft er mit lästigem Gebiss unter Blut und Schmerzen dem geliebten Instrument wieder Ton für Ton zu entlocken und sich nach und nach auf ein Comeback vorzubereiten. An seiner Seite seine Freundin Jane (Carmen Ejogo), die ihn auf dem schweren Weg begleitet. Dank ihrer Zuneigung, lernt er wieder, an sich zu glauben. Er bekommt nochmals die Chance im „Birdland“ aufzutreten, obwohl sein Produzent Dick Bock (Callum Keith Rennie) äußerst skeptisch ist. Und wieder trifft er auf Miles Davis.

Ethan Hawke verkörpert Baker mit einer großartigen Hingabe und eindrucksvollem Charisma. Man kann sagen, er spielt ihn nicht. Er ist Baker. In keiner seiner Rollen war er jemals so verletzlich wie hier. Zu den bekanntesten Songs, die Regisseur Robert Budreau für den Film ausgewählt hat, gehören „Summertime“, „Over the Rainbow“, „Let´s Get Lost, „There´s a Small Hotel“ und natürlich „My Funny Valentine“, von Ethan Hawke selbst gesungen.

Ulrike Schirm


„Die Sucht wurde Baker Zeit seines Lebens nicht mehr los. Während seiner Europaaufenthalte kam er immer wieder wegen kleinerer Vergehen im Zusammenhang mit Drogen ins Gefängnis. Ende der sechziger Jahre gelang ihm mit der Unterstützung seines Musikerkollegen Dizzy Gillespie ein beachtliches Comeback. 1978 zog er dauerhaft nach Europa, wo er die produktivste Phase seiner Karriere erlebte. Während er in seiner Heimat zusehends in Vergessenheit geriet, erfreute sich Bakers Musik in Europa grosser Beliebtheit. Kurz vor seinem Tod 1988 drehte Star-und Modefotograf Bruce Weber den Dokumentarfilm 'LET´S GET LOST' über das Leben des legendären Jazz-Trompeters. Weber lässt Baker, seine Freunde Weggefährten und Familie über sein Leben erzählen. Neben Aufnahmen, die sein begnadetes Talent und, als junger Mann in den fünfziger Jahren, seine atemberaubende Schönheit bezeugen, gibt es die erschütternden Geschichten von Drogenabstürzen, Schlägereien und Karriererückschlägen. Die Tragödie seines Lebens war später in seinem zerfurchten Gesicht abzulesen. Am 13. Mai 1988 starb Baker in Amsterdam nach einem Sturz aus einem Hotelfenster. Es blieb unklar, ob es sich um einen Unfall oder Suizid handelte. 'LET´S GET LOST' hatte im gleichen Jahr Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig und gewann den Kritikerpreis. Im Jahr darauf wurde er für den Oscar nominiert. Einige kurze Schwarz-Weiss-Sequenzen aus Webers Doku sind in 'BORN TO BE BLUE' eingearbeitet“. (Kursiv gedruckter Text übernommen aus dem Presseheft)

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"THE DINNER" von Oren Moverman mit Richard Gere:
Seit 8. Juni 2017 im Kino. Hier der Trailer:



Von der Originalfassung auf der 67. Berlinale waren wir begeistert, auch wenn der Film letztendlich keinen Preis gewonnen hat. Die vielen Rückblenden und der verschachtelte Aufbau irritierte aber das Publikum, das wohl nur einfachere Kinokost gewohnt ist. Die starke Aussage des Films, der auf dem Weltbestseller 'ANGERICHTET' von Herman Koch beruht, überzeugte jedoch auch unsere Filmkritikerin, die jetzt die deutsche Fassung gesehen hat.

Ulrikes Filmkritik:

Man trifft sich in einem hocheleganten Restaurant mit exzellenter Küche. Der Abend wird alles andere als beschaulich. Paul (Steve Coogan) und seine Gattin Claire (Laura Linney) treffen sich mit Pauls älterem Bruder Stan (Richard Gere) und dessen junger Ehefrau Katelyn (Rebecca Hall) zum Abendessen. Alle Beteiligten ahnen, dass es mehr als ungemütlich wird. Das Verhältnis der Brüder ist konfliktbeladen und zerrüttet. Stan, der weltgewandte und charmante einflussreiche Politiker, stand schon immer auf der Sonnenseite des Lebens. Paul benutzt das ungewollte Treffen um den ungeliebten Bruder mit zynischen Bemerkungen zu attackieren. Je später der Abend desto klarer wird der Grund ihres Beisammenseins.

Die beiden 16-jährigen Söhne der Paare haben ein entsetzliches Verbrechen begangen und es auf einem Video festgehalten. Noch weiß die Polizei nicht, wer die Täter waren. Der zermürbende Abend kreist um die Frage, ob sie die Tat vertuschen sollen, denn schließlich steht die Karriere Stans auf dem Spiel. Der Abend entwickelt sich immer mehr zu einem makabren Psychoduell. Katelyn, die eh nicht gut auf ihren Mann zu sprechen ist und Claire neigen zur Vertuschung. Wie weit gehen die Eltern, um ihre Kinder zu schützen und auch das berufliche Ansehen des Herrn Kongressabgeordneten nicht zu zerstören. Über den Umgang mit dieser moralischen Frage ist man sich total uneinig. Oren Movermanns verbaler Schlagabtausch ist schauspielerisch grandios inszeniert, bei der Schauspielerriege nicht anders zu erwarten. Es ist spannend mitanzusehen, wie die Masken aller Beteiligten immer mehr fallen und die seelischen Abgründe immer stärker zum Vorschein kommen. In etwas anstrengenden Rückblenden, wird der Zuschauer nicht nur mit dem ungeheuerlichen Verbrechen, sondern auch mit den Hintergründen der kaputten Beziehung der Brüder konfrontiert. Ein hochbrisantes Drama über Wohlstandsverwahrlosung und ihre bitteren Folgen und Ignoranz jeglicher Moral.

Ulrike Schirm














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